18.06.2013 – Kategorie: Technik

Zu kurz gedacht: Gunther Koschnick, ZVEI, zur Verschärfung der Motorenverordnung

AUTOCAD Magazin: Welche sind für Sie die wichtigsten Gesichtspunkte der verschärften Motorenverordnung 640/2009?

Gunther Koschnick: Die Verordnung 640/2009 vom 22.Juli 2009 ist die Durchführungsverordnung der Ökodesignrichtlinie (ErP) 2009/125/EG und beschreibt die „… Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung von Elektromotoren“. Die ab Oktober 2013 geplanten Verschärfungen betreffen die Ausnahmen:

‚Verordnung gilt nicht für Motoren, spezifiziert für den Betrieb (Artikel 1, 2c)

i.          Alt: In Höhen über 1000 m (ü. NN) – Neu: In Höhen über 4000 m (ü. NN)

ii.         Alt: bei Umgebungstemperaturen über  40 °C – Neu: bei Umgebungstemperaturen über  60 °C Umgebungstemperatur

iv.        Alt: bei Umgebungstemperaturen unter -15 °C Umgebungstemperatur beziehungsweise unter 0 °C bei Wasserkühlung – Neu: bei Umgebungstemperaturen unter -30 °C, unter 0 °C. Bei Wasserkühlung:

v.         Alt: bei Kühlflüssigkeitstemperatur am Einlass eines Produkts unter 5 °C oder über 25 °C – Neu: bei Kühlflüssigkeitstemperatur am Einlass eines Produkts unter 0 °C oder über 32 °C’

 

Gunter Koschnick, Leiter Fachbereich Elektrische Antriebe im ZVEI-Fachverband Automation:
„Wir fordern eine definierte Übergangszeit, um technische Ersatzlösungen zu finden und vor allem auch in der Kunden-Lieferanten-Beziehung Rechtsicherheit zu haben.“

AUTOCAD Magazin:  Inwiefern halten Sie die Vorgaben, die sich daraus ergeben, für technisch und wirtschaftlich sinnvoll?

Gunther Koschnick: Die geplanten Einschränkung der Ausnahmen begrüßt der ZVEI, da zu viele Ausnahmen der eigentlichen Idee der ErP- Richtlinien, nämlich den Energieverbrauch zu reduzieren, entgegenwirken. Jedoch hat der ZVEI von Anfang an eine definierte Übergangszeit von mindestens einem Jahr gefordert, damit Maschinenbauer und Motorenhersteller sich auf die Veränderung einstellen können.

AUTOCAD Magazin: Was würde diese für die Entwicklung und Konstruktion von Elektromotoren bedeuten?

Gunther Koschnick: Im ungünstigen Fall lässt sich der bestehende Motor nicht durch einen Energiesparmotor zum Beispiel der Energieeffizienzklasse IE3 ersetzen, da Energiesparmotoren bei gleicher Performance oft eine größere Bauform haben. Das bedeutet, dass nicht nur die Stückliste der Maschine geändert, sondern die Maschine auch umkonstruiert werden muss. Neben den Konstruktionskosten fallen dann zusätzlich längere Stillstandszeiten an.

AUTOCAD Magazin: Können Sie uns bitte hierfür ein Beispiel nennen?

Gunther Koschnick: Mir sind heute Beispiele aus der Druckindustrie und Marine bekannt, wo die 40 °C Umgebungstemperatur überschritten wird, und sie deshalb bisher unter die Ausnahmen der Verordnung 640/2009 fielen.

AUTOCAD Magazin: Was muss andererseits der Anwender beachten, inwiefern ist ein Bestandsschutz für bereits vorhandene Anlagen vorgesehen?

Gunther Koschnick: Es gibt keinen Bestandsschutz für Altanlagen. Wird das Amendement im Amtsblatt publiziert, so ist es nach heutigem Stand 20 Tag später wirksam und anzuwenden und jeder in Europa neu „in den Verkehr gebrachte“ Elektromotor muss dann der Verordnung entsprechen. Besonders hart trifft es Maschinenhersteller und Anwender bei der Bestellung von Ersatzmotoren, da es hierfür keine Sonderreglung gibt und dann die aktuelle Fassung der Verordnung beachtet werden muss. Nur Ersatzteile, die bereits beim Anwender sind („in den Verkehr gebracht“), dürfen verwendet werden.

AUTOCAD Magazin: Es heißt, dass mit der Verschärfung Schlupflöcher geschlossen würden. Da wäre ja davon auszugehen, dass die meisten Unternehmen die Anforderungen schon erfüllen können. Warum ist die Maßnahme dennoch zu kurzfristig?

Gunther Koschnick: Wir fordern eine definierte Übergangszeit, um technische Ersatzlösungen zu finden und vor allem auch in der Kunden-Lieferanten-Beziehung Rechtsicherheit zu haben. Diese Verschärfung ist 20 Tage nach Veröffentlichung wirksam, das heißt, ein Motor, den ich heute bestelle, darf zum Zeitpunkt des Lieferdatums (drei Wochen später) nicht mehr geliefert werden. Um es noch einmal zu sagen: Heute weiß kaum ein Anwender von diesem Vorhaben der EU, dessen Umsetzung für Oktober 2013 geplant ist.

AUTOCAD Magazin: Wie weit reicht der Einfluss der Hersteller, Anwender und Verbände, um solche Verordnungen mitzugestalten? Wird der ZVEI hier mit einbezogen?

Gunther Koschnick: Normalerweise dauert der Prozess für eine Durchführungsverordnung von der Vorbereitungsstudie bis zu Freigabe durch die Europäische Kommission rund 55 Monate. Aktuell ist der ZVEI mit dem Europäischen Sektorverband der CEMEP in der Studie Los 30 beteiligt. Darin werden weitere Verordnungen für elektrische Antriebe untersucht. Hierzu liefert der Verband Marktzahlen und diskutiert mit den Studiennehmern die Umsetzbarkeit und die anzuwendenden Normen oder Normungsvorhaben sowie deren spätere Umsetzung in die neue Richtlinie.

In dem hier besprochenen Amendment 640/2009 wendet die Europäische Kommission ein Schnellverfahren an, um „Korrekturen“ durchzuführen. Diese Verfahren nennt sich Komitologie-Verfahren. Hier sind die Verbände nicht im gleichen Maße eingebunden.

AUTOCAD Magazin: Wie schätzen Sie die Chancen ein, doch noch eine verlängerte Übergangsfrist zu erreichen?

Gunther Koschnick: Das Amendment 640/2009 befindet sich im Moment bei den Regierungen der Mitgliedstaaten zur Kommentierung. Natürlich haben wir – wie auch die anderen nationalen Verbände in Europa – unsere Position eingebracht. Da das Komitologie-Verfahren meines Wissens hier erstmalig angewandt wird, kann ich keine Prognose abgeben.

AUTOCAD Magazin: In welcher Form besteht hier auch eine Zusammenarbeit mit den Industrieverbänden in anderen Ländern?

Gunther Koschnick: Zunächst haben wir unsere Position bei der Europäischen Kommission über den Europäischen Sektor-Verband CEMEP (Comité Européen de Constructeurs de Machines Electriques et d’Electronique de Puissance) eingebracht. In der CEMEP sind die nationalen Verbände organisiert. Im nächsten Schritt werden die Industrieverbände der anderen Länder ebenfalls die abgestimmte Position bei ihren Regierungen vertreten.

AUTOCAD Magazin: Welche Trends sehen Sie in der Entwicklung von elektrischen Antrieben für die nächsten zwei bis drei Jahre?

Gunther Koschnick: Die Umsetzung der Durchführungsverordnung 640/2009 geht ja noch weiter. Ab 2015 dürfen am Netz nur noch Motoren der Klasse IE3 laufen beziehungsweise IE2-Motoren mit vorgeschalteter Drehzahlregelung über einen Frequenzumrichter. Ab 2017 gilt dieses dann auch für Motoren unter 7,5 Kilowatt. In der zuvor erwähnten Studie zum Los 30 werden gerade weitere Verordnungen diskutiert, die dann nach 2017 gelten werden.

Die im ZVEI organisierten Hersteller von Antriebstechnik haben schon früh erkannt, dass die elektrischen Antriebe einen wichtigen Beitrag zur Energiewende auf der Verbraucherseite leisten können und bieten neben hocheffizienten Motoren und elektronischer Drehzahlregelung auch Konzepte und Tools zur Ermittlung des Einsparpotenzials an. Der ZVEI hat hierfür beispielsweise das frei verfügbare Tool „Lifecycle Cost Evaluation“ entwickelt. Sicherlich wird in Zukunft mehr und mehr der Systemgedanke die entscheidende Rolle bei der Reduktion des Energieverbrauchs spielen. Denn eines ist klar: Nur ein optimal betriebener und dimensionierter elektrischer Antrieb hebt – je nach Anwendung auch mit einer vorgeschalteten Drehzahl-/Drehmomentregelung – das maximale Einsparpotenzial.

AUTOCAD Magazin: Herr Koschnick, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Andreas Müller.

 

Info: Über den ZVEI

Der ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V. vertritt die gemeinsamen Interessen der Elektroindustrie und der zugehörigen Dienstleistungsunternehmen in Deutschland. Rund 1.600 Unternehmen mit über 840’000 Arbeitnehmern in Deutschland und weiteren fast 660.000 weltweit haben sich für die Mitgliedschaft im ZVEI entschieden.

Im Jahr 2012 betrug ihr Umsatz 170 Milliarden Euro. Etwa 40 Prozent davon entfallen auf neuartige Produkte und Systeme. Jährlich wendet die Branche 13,5 Milliarden Euro auf für F&E, 8,7 Milliarden Euro für Investitionen und zwei Milliarden Euro für Aus- und Weiterbildung. Jede dritte Neuerung im verarbeitenden Gewerbe insgesamt erfährt ihren originären Anstoß aus der Elektroindustrie.

Weitere Informationen: www.zvei.org


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