24.05.2022 – Kategorie: Produktionsprozesse
Virtuelle Fertigung: Schneller dank zentraler Datenplattform
Durch die Einführung der virtuellen Fertigung wollte die Mayer Stahl- und Apparatebau GmbH Ziele wie die Ergebnisabsicherung, Fehlervermeidung und Prozessbeschleunigung erreichen. Hierfür hat sich der Lohnfertiger für eine zentrale Datenplattform entschieden, die CAD/CAM-Systeme, Simulation und Shopfloor miteinander vernetzt.
Virtuelle Fertigung in der Praxis: Der Lohnfertiger von Großbauteilen nutzt die Möglichkeiten einer durchgängigen, virtuellen Fertigung auf Basis des offenen ECO-Systems von Coscom. Damit wird die 1:1-Ergebnisabsicherung mit „echten“ NC-Programmen in der Simulation gewährleistet. Einen weiteren Beitrag zur Prozessbeschleunigung leistet auch die umfassende Rüstoptimierung durch digitale Arbeitsmappen in dem komplett vernetzten Shopfloor.
Virtuelle Fertigung: Groß und dennoch präzise
50 Tonnen Gewicht, 18 Meter Länge: Präzision in der Herstellung von Großbauteilen ist eine Herausforderung der besonderen Art. Neben einem hoch technologisierten Maschinenpark und einer digitalen Tool-Infrastruktur sind handwerkliche Fähigkeiten und technischer Sachverstand der Mitarbeiter gefragt. Denn es muss eine Maßhaltigkeit über eine enorme Distanz eingehalten werden. Dabei geht es um Abmessungen von 0,03 bis 0,05 Millimeter bei einer Bearbeitungslänge von bis zu 18 Meter. Für Mayer Stahl- und Apparatebau in Heidenheim sind derartige Werte „Tagesgeschäft“. In der Einzelgroßteil-Fertigung lässt sich in dem hart umkämpften Markt nur bestehen, wenn es zu keinen Kollisionen oder anderen Fehlern bei der spanenden Bearbeitung kommt.
Absicherung des gesamten Fertigungsprozesses
Die Absicherung des gesamten Prozesses muss lückenlos zu 100 Prozent erfolgen. Denn es gibt nur einen Versuch bei der Bearbeitung eines Bauteils. Hierfür werden maximale Ergebnisabsicherung, 100-prozentige Fehlervermeidung, Rüstoptimierung und daraus abgeleitet eine maximale Beschleunigung des Arbeitsprozesses benötigt. Wie aber lassen sich diese hochgesteckten Ziele erreichen? Ein CAM-System ist hierbei ein wichtiger Lösungsbaustein. Doch das allein reicht nicht aus: Es muss ein Brückenschlag von der idealisierten Welt der CAM-Simulation in die Realität der Bearbeitungszentren geschlagen werden. Deshalb hat sich Mayer Stahl- und Apparatebau für ProfiCAM Virtual Machining (VM) der Coscom Computer GmbH für die CAM-Programmierung und Vericut von CGTech für die NC-Satz-Simulation entschieden.
Beide Tools sind an das ECO-System von Coscom angebunden, das aus FactoryDirector VM und ToolDirector VM besteht und die CAM-Programmierung und Maschinensimulation mit den relevanten, digitalen Fertigungs- und Werkzeuginformationen versorgt. Mit NC-Programmen werden bei der mechanischen Bearbeitung die Fahrständer-Fräs- und -Bohrcenter der Reihen FR 12000, FR 14000 und FS 18000 sowie die Starbett-Fräsmaschinen SL 8000 und SP 10000 von Soraluce gespeißt.
ToolDirector VM versorgt CAM-System mit Werkzeugdaten
Mit dem Ziel der Hauptzeit-parallelen 3D-Programmierung wurde das Projekt vor einigen Jahren mit der Einführung von ProfiCAM VM für den Bereich Fräsmaschinen mit Mehrseitenbearbeitung gestartet. Wenig später kam die Werkzeugverwaltung ToolDirector VM hinzu, die das CAM-System mit Werkzeugdaten versorgt und die Programmierung mit realistischen Geometrien der Werkzeuge erlaubt. In ToolDirector VM sind inzwischen Daten über Werkzeugkomponenten und rund 4.200 Komplettwerkzeuge hinterlegt.
Dietmar Koch, Meister mechanische Fertigung bei der Mayer Stahl- und Apparatebau GmbH, berichtet: „Kein CAM-System mehr ohne Werkzeugverwaltung. Für die Maschinensimulation des Bearbeitungszyklus hatten wir uns für Vericut entschieden, um auf Basis des NC-Codes nach dem Postprozesslauf in ProfiCAM VM das Ergebnis 100-prozentig abzusichern. Uns war bereits damals bewusst, dass die NC-Datensätze nach dem Postprozessor-Export nochmals getestet werden mussten, also jene NC-Sätze, die in der Maschine eingesetzt werden. Auch wenn Coscom sehr gute NC-Codes durch maschinenoptimierte Postprozessoren in dem CAM-System liefert, wollen wir wirklich sicher sein bei der Kollisionskontrolle.“
Virtuelle Fertigung: Lückenloser Datenprozess bis an die Maschine
Die Einführung von ToolDirector VM stellte die CAM-Programmierung auf ein neues Qualitätsniveau und garantierte gleichzeitig einen lückenlosen End-to-End-Prozess, bezogen auf das Durchreichen von digitalen Werkzeuginformationen bis in die Werkzeugvoreinstellung und an die Maschine. So wurden Werkzeuglisten, Zusammenbau-Vorschriften der Komplettwerkzeuge, vermessene Werkzeug-Ist-Daten im gesamten Prozess unmittelbar verfügbar. „Die Bereitstellung von aktuellen Daten ist extrem wichtig, weil es um Rüst- und Bearbeitungszeiten von teilweise mehreren hundert Stunden geht. Da dürfen keine Irrtümer geschehen“, betont Dietmar Koch.
Die Mayer Stahl- und Apparatebau ging im Laufe der Jahre noch weitere Schritte in Richtung virtuelle Fertigung und führte FactoryDirector VM ein, um sämtliche Papierdokumente zu digitalisieren und auf InfoPoint zu visualisieren. Aus Sicht von Dietmar Koch war es ein großer Schritt nach vorne, als jede Maschine mit PC und Monitor ausgerüstet wurde: „Alle bereitgestellten Daten werden nun direkt vor der Maschine mit InfoPoint VM visualisiert. Selbst die Simulation kann dort aufgerufen und die konkrete Aufspannsituation in 3D angezeigt werden.“
Wirklich alles, was vor Ort benötigt wird, ist nun digital über den InfoPoint VM abrufbar, wie zum Beispiel Werkzeuglisten, Spannpläne, NC-Programme und Simulationen. Das führt zu einer signifikanten Fehlerreduktion und höheren Präzision bei der Bearbeitung.
Digitalisierung zu Ende gedacht
Bei der Mayer Stahl- und Apparatebau dient der FactoryDirector VM als zentrale Datenbasis für alle Fertigungsdaten und digitalen Fertigungsdokumente. Alle Technologiedaten rund um ein Werkstück, wie NC-Programme, Fertigungszeichnungen, Rüstlisten und Aufspannpläne, werden nun zentral in einer Datenbank verwaltet und allen Prozessteilnehmern gemäß der anstehenden Aufgabe in der Arbeitsvorbereitung und im Shopfloor bereitgestellt. Auch FactoryDirector VM arbeitet in beide Richtungen: So werden die während des Produktionsprozesses optimierten NC-Codes, etwa in Hinsicht auf angepasste Vorschübe oder Fräswegekorrekturen, in die Datenbank zurückgespielt.
„Im Falle der Wiederholteilfertigung bedeutet diese Fertigungsdokumentation, dass das ECO-System eine Knopfdruck-Lösung aufgrund von ausgeklügelter Know-how-Sicherung aus der vorangegangenen Fertigung ist“, erklärt Martin Gentner, Geschäftsführer der Mayer Stahl- und Apparatebau. Hierbei werden sämtliche Fertigungsinformationen ausnahmslos digitalisiert. Bis dato gibt es rund 12.000 auftragsbezogene Technologiedatensätze. Das ist das Ergebnis von durchschnittlich 250 Aufträgen pro Jahr, wobei für jeden Auftrag im Durchschnitt vier bis fünf NC-Programme erstellt werden. Martin Gentner rechnet vor, wie viel Zeit bei der Fertigung eingespart wird: „Nahm früher eine typische Bauteilbearbeitung rund 15 Arbeitstage in Anspruch, sind es heute keine zehn mehr. Rund 25 Prozent der erzielten Zeiteinsparungen haben wir durch die Digitalisierung mit Coscom erreicht.“
Der Autor Dr. Bernhard Valnion ist freier Fachjournalist in München.
Lesen Sie auch: Was ein Betriebssystem für die Produktion tun kann
Teilen Sie die Meldung „Virtuelle Fertigung: Schneller dank zentraler Datenplattform“ mit Ihren Kontakten:
Zugehörige Themen:
CAD | CAM, Digitale Transformation | Digitalisierung, Fertigung, Industrie 4.0, Produktion & Prozesse