29.04.2015 – Kategorie: IT

Serie: Industrie 4.0 — wohin geht die Reise? Teil 1

anja_schatz

Acht Fachleute, die sich intensiv mit Industrie 4.0-Konzepten beschäftigt haben, schildern ihre Erfahrungen. Im ersten Teil unserer 8-teiligen Serie: Anja Schatz, Abteilungsleiterin Auftragsmanagement & Wertschöpfungsnetze, stellv. Geschäftsfeldleiterin Maschinen- und Anlagenbau, Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.

Autocad Magazin: Wie würden Sie „Industrie 4.0“ interpretieren?

Anja Schatz:  Industrie 4.0 ist ein echter Innovationstreiber: Sowohl Prozessinnovationen hinsichtlich weiterer Effizienzsteigerung der Wertschöpfung (Big Data, Echtzeitoptimierung) als auch weitere Produktinnovationen (Smart Products/Services) werden dadurch befeuert. Und nicht zu vergessen ist das enorme Potenzial für Unternehmen, das eigene Geschäftsmodell quasi neu zu erfinden: Kunden werden  in Zukunft für flexible Nutzungsmöglichkeiten mit  individuellem Mehrwert bezahlen, die ohne den  Einsatz von Industrie 4.0-Technologien gar nicht darstellbar wären (Stichwort: Digitalisierte Produkte und Dienstleistungen, Verfügbarkeit statt Besitz, Pay per Use/ per Value).

Autocad Magazin: Inwiefern profitieren von entsprechenden Ansätzen auch mittelständische Fertigungsunternehmen?

Anja Schatz: Mittelständische Produktionsunternehmen befassen sich mit den vielfältigen Innovationspotenzialen durch Industrie 4.0-Technologien. Insbesondere Problemstellungen, die bereits lange Zeit im Unternehmen immer wieder ans Tageslicht kommen, werden nochmals adressiert: Kann Industrie 4.0 hier zur nachhaltigen und wirtschaftlichen Lösung verhelfen? 

Autocad Magazin: Können Sie uns, bitte, ein Beispiel hierfür nennen?

Anja Schatz: Häufig fehlt gerade in KMU die Transparenz, zum Beispiel über den konkreten Auftragsfortschritt. Ein Kunde ruft an und möchte wissen, wann sein Auftrag fertiggestellt wird und ob er sich auf das in der Auftragsbestätigung kommunizierte Lieferdatum verlassen kann. Dann beginnt in der Regel das Suchen: Wo ist der Auftrag gerade, sind einzelne Positionen im Rückstand usw. Eine unmittelbare Auskunft vom  Schreibtisch aus ist oft nicht möglich. Eine klassische Lösung ist, eine umfangreiche Betriebsdatenerfassung einzuführen – mit viel Investitionsaufwand in Software und Integrations- und Zeitaufwand bis zur spürbaren Verbesserung der Situation. Durch den Einsatz kleiner Applikationen, sogenannte Manufacturing Apps, die Nutzung von Smart Tags, Smart Phone-Kamera und einer einfachen Datenbank (ggf. in der Cloud)  kann der Auftragsstatus jederzeit nachvollzogen werden. Am Fraunhofer IPA ist eine solche App auf der Plattform Virtual Fort Knox zum Download verfügbar und kann mit wenig Aufwand in der Regel innerhalb einer Woche in Betrieb genommen werden:  https://www.virtualfortknox.de/marketplace/einzelansicht/shop/Product/show/XETICS-MES.html

Autocad Magazin: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Stärken und Schwächen der deutschen Industrie-4.0-Konzepte im Vergleich zu vergleichbaren Ansätzen in den USA oder in China?

Anja Schatz: Gerade die Perspektive der Geschäftsmodellinnovation durch Industrie 4.0 wird in den USA viel stärker vorangetrieben als hier in Europa. Digitalisierte Ökonomie, kooperative Plattformen usw. sind klare Domäne der USA. Wir haben hier in Deutschland und Europa jedoch einen enormen Vorsprung, was Produktionstechnologie angeht. IT-Kompetenzen sind jedoch in der Fertigungsindustrie meist beschränkt auf maschinennahe Software (Steuerung). Aspekte der Vernetzung von ganzen Produktionssystemen sind in KMU noch Zukunftsmusik, Kompetenzen diesbezüglich müssten aufgebaut oder hinzugekauft oder über Kooperationen bereitgestellt werden. Wenn dieser Schritt gegangen wird lässt sich daraus etwas machen, weil neben Produkt- und Prozessinnovationen auch eben auch das zusätzliche Geschäftspotenzial mitgedacht und gehoben wird.

Autocad Magazin: Wie beurteilen Sie die Rolle der Politik, was die Implementierung und Umsetzung von Industrie 4.0 betrifft?

Anja Schatz: Die Politik unterstützt das Thema über verschiedene, sehr umsetzungsorientierte Programme und Ausschreibungen. Dadurch können  sich insbesondere auch KMU zunächst quasi im „geschützten Raum“  damit auseinandersetzen. Besonders interessant sind hier Formate, die das Auftreten ganzer Wertschöpfungsketten im Konsortium verlangen, da hier das Potenzial der horizontalen Integration von Industrie 4.0 sehr gut herausgearbeitet werden kann. Diese Projekte wirken dann als Inkubator oder Katalysator für weitere, nachfolgende Initiativen von Produktionsunternehmen.

 

Die Fragen stellte: Andreas Müller

 

 


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