11.02.2021 – Kategorie: Produktionsprozesse
Richtig bohren und sparen
Durch den Einsatz digitaler Technik und optimierter Wendeschneidplatten- Philosophie konnte Schmauser Müller Metalltechnik die Prozesssicherheit und Effizienz beim Feinbohren erheblich steigern.
Feinbohren: Schmauser Müller Metalltechnik (SM) fertigt Einzelteile oder Kleinserien – präzise und flexibel in allen Materialien. Der CNC-Fertiger im bayrischen Pollenfeld-Preith nahe Ingolstadt hält Ressourcen im Vorrichtungsbau, in der Metalltechnik und daran angeschlossen auch in der CAD-Konstruktion bereit.
Bereich Feinbohren wurde optimiert
Fertigungsleiter Rainer Maurer erklärt: „Natürlich gehören auch Automobilhersteller zu unseren Auftraggebern. Wir wollen unseren Kundenstamm jedoch bewusst divers halten, um so die auf Branchen beschränkten Schwankungen auszugleichen.“
Für ein Start-up fertigt SM beispielsweise Zuführtechnik in einer innovativen Vorgehensweise: Statt eines sich wiederholenden händischen Prozesses, der dann ein nicht vorhersehbares Ergebnis liefert, simuliert das Start-up dazu die komplexen Förderer und bietet dem Endkunden so eine passgenaue Lösung an, deren Komponenten SM als CNC-Fertiger herstellt.
Einen ähnlichen Prozess mit integrierter Simulation bietet SM in seiner mechanischen Fertigung heute selbst an. „Mit dem Werkzeughersteller Big Kaiser zusammen haben wir unseren Bereich Feinbohren gleich auf zwei Ebenen optimiert.“, erläutert Maurer.
Der Digital Twin im Fertigungsprozess
„Unser erstes Projekt war der sogenannte Digital Twin“, erklärt der Fertigungsleiter. „Durch ihn bekommt der Anwender schon vor Prozessbeginn Gewissheit über den Erfolg. Gerade bei Einzelteilen ist dies sinnvoll.“
Die Basis für den Digital Twin bildet bei SM die CAM-Software HSM Works von Autodesk. Dabei entsteht nicht ein einziger digitaler Zwilling, sondern alle relevanten Komponenten werden digital abgebildet. Zum einen die 5-Achs-Simultanfräsmaschine C42 von Hermle mit der Automation HS-Flex, zum anderen die Spannmittel von SMW Autoblok. Selbst die Werkzeuge sind digital nachgebildet – gerade bei den Feinbohrköpfen mit einstellbaren Auskraglängen und Durchmessern ist das essentiell. Aber auch Details, wie das Blum-Lasermesssystem, sind nachgebildet: Schließlich bleibt auch eine Kollision mit dem Werkzeugmesssystem eine Kollision.
Sind alle Komponenten als Digital Twin abgebildet, kann SM den optimalen Programmablauf simulieren, ohne die reale Maschinen zu belegen und möglichen Ausschuss und Schäden zu produzieren. Insbesondere bei komplexen 5-Achs-Simultanbearbeitungen ist dies sinnvoll, denn hier kann man oft nicht mehr alle Details der Relativbewegungen im Blick behalten.
Ein ungünstiger Fehler in diesem Bereich – beispielsweise eine Kollision – wäre für die Wirtschaftlichkeit des jeweiligen Auftrags fatal.
Maurer kommentiert: „Ein professioneller Prozess muss zuverlässig ablaufen, und zwar schon beim ersten Mal. Ein Kollege hat mich damals darauf gebracht, den Digital Twin bei uns einzuführen. Jetzt lassen wir nach der Programmerstellung die Teile durch die Automation laufen und sind zuversichtlich, was die Ergebnisse angeht. Das ist die ideale Ergänzung zu unserem modernen Maschinenpark“.
Das Beste: Alles was SM zu dieser Digitalisierung brauchte, war bereits im Haus – etwa die Hermle-Maschine. „Bisher ist es an Kleinigkeiten gescheitert, die jedoch eine wichtige Rolle spielen – uns fehlten beispielsweise die Werkzeugdaten. Sind sie in ihrer Komplexität ungenau, ist auch das Ergebnis nicht vorhersagbar, denn jede Verlängerungskombination hat einen anderen digitalen Zwilling.“
Heute liefert Big Kaiser alle benötigten Daten in allen relevanten Längen und Durchmesserkombinationen.
Raus aus dem Wendeplattendschungel
Doch nicht nur die Digital Twins optimieren heute den Feinbohrprozess. Big Kaiser bringt SM auch physisch einen entscheidenden Schritt weiter: Mit der immer richtigen Wendeschneidplatte – ein oft übergangenes Detail, das alles einfacher und effizienter macht.
Rainer Maurer erklärt: „Dadurch, dass wir früher viele verschiedene Schneidstoffe genutzt haben, war unklar, welcher sich bei einem speziellen Projekt am besten eignet“. Als Folge sind Wendeplatten gebrochen und die Ergebnisse waren nicht zufriedenstellend. „Mit Effizienz hatte dies nichts zu tun. Die Mitarbeiter haben Feinbohrarbeiten deshalb nur ungern übernommen.“, kommentiert der Fertigungsleiter.
Heute ist das anders. SM hat insgesamt nur noch 11 verschiedene Schneidplatten im Haus, mehr nicht. Jede dieser Wendeplatten hat ihren klar definierten Zweck. Um diese außergewöhnliche Reduktion zu erreichen, hat der Werkzeughersteller die Anforderungen mit Rainer Maurer durchgesprochen und analysiert. Schlussendlich ließen sich so DIE 11 Wendeschneidplatten identifizieren, mit denen SM alle Material- und Durchmesserkombinationen abdecken kann.
Rainer Maurer fügt hinzu: „Die Einstellung der Mitarbeiter zum Feinbohren hat sich dadurch deutlich verbessert; sie haben inzwischen Vertrauen in den Prozess und sie stoppen ihn nicht mehr, um unnötig Teile zu prüfen. Die Bearbeitung kann durchlaufen, die Maßhaltigkeit ist konstant und die Oberflächen perfekt.“
App für optimale Schnittwerte
In der Praxis verlassen sich die meisten Betriebe auf Schnittdaten, die irgendwann mal irgendjemand getestet hat, wie auch Rainer Maurer bestätigt: „Meist fragt der Lehrling seinen Meister, was er eingeben soll, und der hat etwas im Kopf, das schon mal funktioniert hat. Diese Werte geistern dann über Jahre durch das Unternehmen.“
Bei diesem Vorgehen wird nicht nur viel Potenzial verschenkt, es hat auch negative Auswirkungen auf die Bearbeitungsgeschwindigkeit, die Qualität der Teile und die Standzeit. „Damit ist bei uns jetzt Schluss.“, kommentiert Maurer. Ermöglicht hat das die Arbeit in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Big Kaiser. Dort haben die Techniker und Ingenieure in vielen Testreihen optimale Schnittwerte ermittelt. Durch die vielen Einflussgrößen sind diese Praxis-Tests sehr umfangreich. Jeder Durchmesser, jedes Material und jede Auskraglänge haben einen Einfluss auf das Ergebnis. Dasselbe gilt für die verschiedenen Spindeltypen.
Die Ergebnisse dieser Tests stellt der Werkzeuglieferant dem Anwender komfortabel per App zur Verfügung, so dass dieser sich voll und ganz auf sein Kerngeschäft konzentrieren kann.
Wie die Schneidplatten beim Feinbohren länger halten
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Standzeit der Wendeplatten. Wer hier mit fehlerhaften Werten arbeitet, verschenkt Potential oder riskiert, mit verschlissenen Schneideplatten fehlerhafte Passungen zu produzieren, die nachjustiert werden müssen oder im ungünstigsten Fall sogar zu Ausschuss führen.
Rainer Maurer berichtet: „Bei uns läuft der Feinbohrprozess im Zusammenspiel mit der CAM-Programmierung inzwischen folgendermaßen ab: In der App geben wir die gewünschten Parameter ein, zum Beispiel Bohrungsdurchmesser, Material und Auskraglänge. Die App sagt uns, welches unserer Werkzeuge mit welcher Wendeschneidplatte ausgestattet werden soll, welche Verlängerungen eventuell benötigt werden und welche Schnittdaten einzustellen sind.“
Dann wählt der Techniker den entsprechenden digitalen Werkzeugzwilling am CAM-Arbeitsplatz aus und programmiert die Schnittwerte – fertig. Dabei wird immer der optimale Schnittwert ausgewählt. Der Bediener muss nicht mehr mit verschiedenen Werten experimentieren, sondern kann sich auf die Ergebnisse aus der App verlassen, was den Prozess enorm vereinfacht.
„Wie stark sich die Standzeit genau verbessert hat, wissen wir nicht. Unsere Prozesse waren vorher einfach nicht konstant genug, um darüber Aussagen zu treffen. Mittlerweile ist die Standzeit konstant und wir vermuten dreimal so hoch.“ Viel wichtiger ist jedoch: SM tauscht heute Wendeschneidplatten nach einer vorher definierten Einsatzzeit aus, anstatt abzuwarten, bis es nicht mehr passt und erst dann zu wechseln, wenn etwas schiefgelaufen ist.
Fokus auf dem Feinbohren
Der Feinbohrfokus ist ein Alleinstellungsmerkmal von Big Kaiser. Bei anderen Herstellern wird für einen bestimmten Einsatzzweck eine spezielle Platte angefertigt. Diese funktioniert für genau diesen Zweck sehr gut, die Performance verschlechtert sich jedoch deutlich, sobald sich die Rahmenbedingungen geringfügig ändern.
Für Firmen wie SM Metalltechnik wäre dies ungünstig, da dort Kleinserien oder Einzelteile gefertigt werden. Dadurch ergibt sich eine Vielzahl von Bohrungen und Materialien. Entsprechend bräuchte das Unternehmen mehr als hundert verschiedene Wendeschneidplatten, um bestmöglich zu fertigen.
Dies ist nicht praxistauglich und würde den Anwender überfordern, weil er die Platten nicht nur vorrätig halten, sondern sie auch im richtigen Moment mit den richtigen Schnittdaten einsetzen müsste. Zwar funktionieren andere Wendeschneidplatten oft auch, allerdings deutlich schlechter. Das führt zu Ungewissheit und schließlich zu Chaos.
Das Konzept von Big Kaiser möchte dieses Szenario vermeiden. Statt einer zu großen Spezialisierung, die das Ergebnis nur minimal verbessert, wurden Allrounder geschaffen, die in der Praxis ausgezeichnete Ergebnisse liefern. „Kurzum: Durch die verbesserten Prozesse schöpfen wir das volle Potenzial unserer Maschinen aus“, kommentiert Maurer.
Alexander Hartl ist Anwendungstechniker bei Big Kaiser.
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