02.03.2022 – Kategorie: Digitalisierung
Overall Equipment Effectiveness: Wichtige Kennzahlen für die Anlageneffektivität
Die OEE ist Goldstandard, um mithilfe des Manufacturing Execution Systems die Anlageneffektivität zu messen. Jedoch braucht es weitere Kennzahlen, um auch die Resilienz und Nachhaltigkeit der Produktion zu steigern.
Overall Equipment Effectiveness in der Praxis – Jeder Produktionsleiter wird schon einmal die Frage gestellt bekommen haben: „Wie messen Sie die Produktivität Ihrer Anlagen?“
Overall Equipment Effectiveness: Die Kennzahl, die zählt?
So gut wie jeder, der mit Kennzahlen und mit einem Manufacturing Execution Systems (MES) arbeitet, wird hier mit drei Buchstaben antworten. Die „OEE“-Kennzahl steht für Overall Equipment Effectiveness, ein Key Performance Indikator (KPI), der die Gesamtanlageneffektivität beschreibt. Kaum ein Vergleich zwischen Werken und Standorten kommt heute ohne diesen Wert aus.
Das Ermitteln von Kennzahlen bedeutet Aufwand – gerade, wenn händisch in die Erstellung eingegriffen werden muss: Die manuelle Erfassung von Werten, zum Beispiel aus Ausfallprotokollen, kostet Zeit und ist zudem fehlerträchtig. Auch aus diesem Grund ist in vielen Unternehmen die OEE die einzige Produktionskennzahl.
Dabei ist die OEE nur eine von 22 möglichen Kennzahlen, die der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) als Standard für die Anbieter von MES-Lösungen definiert hat. Und selbst die OEE ist eigentlich keine einzelne Kennzahl, vielmehr eine Zusammenstellung von Indikatoren wie Mengenausbringung, Qualität und Verfügbarkeit, die zeigen, wie es um die eigene Produktion steht.
Warum also nicht nur die OEE messen?
Die Antwort ist einfach: Die Anforderungen an die Produktion haben sich in den vergangenen Jahren massiv geändert. Nicht mehr nur Effektivität entscheidet darüber, ob Unternehmen profitabel arbeiten können, sondern auch ihre Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit.
Spätestens seit disruptive Störungen in Folge der Corona-Pandemie für Versorgungsengpässe und Preissprünge bei Rohstoffen und Vorprodukten sorgen, ist das Thema Resilienz bei vielen Unternehmen auf der Tagesordnung. Zeitgleich gerät das Stichwort Nachhaltigkeit in der Produktion durch einen zunehmend für Umwelt- und Sozialthemen sensibilisierten Blick von Öffentlichkeit und Investoren vermehrt in den Fokus.
Der alleinige Blick auf die Overall Equipment Effectiveness reicht nicht, um messbare Größen zu erhalten, an denen Verantwortliche die Auswirkungen von Prozessveränderungen auf die neuen Herausforderungen ablesen können. Es lohnt der Blick auf die vom VDMA standardisierten Key Performance Indikatoren (KPI).
Die Resilienz steigern
Ein geeigneter Indikator aus dem VDMA-Standard, um die Resilienz zu bestimmen, ist beispielsweise die „Fall off rate“, also die Ausfallrate. Denn die OEE erfasst nicht, ob und in welchem Maße eine Maschine tatsächlich im Einsatz war oder ausgefallen ist. Es ist möglich, dass insgesamt die Produktion eine zufriedenstellende Effizienz aufweist, einzelne Maschinen aber zu wenig gewartet werden oder an das Ende ihres Lebenszyklus‘ gelangen.
Die Ausfallrate gibt genau hierüber Aufschluss. Sie vergrößert sich in der Regel mit zunehmendem Alter der Anlagen, etwa durch mechanischen Verschleiß, chemische Zersetzung oder Isolationsdurchbrüchen bei elektrischen Komponenten.
Mit Blick auf die Ausfallrate wird deutlich, ob ein Anlagenpark auf Verschleiß gefahren wird und welche Maschinen bald ersetzt werden müssen. Produktionsverantwortliche können die Resilienz ihrer Produktion steigern, indem sie gezielt an den drohenden Schwachstellen im Anlagenpark Wartungsprozesse optimieren oder rechtzeitig in Ersatz investieren.
Overall Equipment Effectiveness: Sind wir anpassungsfähig?
Treten häufig ungeplante Störungen durch Lieferengpässe auf, dann muss umgeplant werden. Die Bedeutung von Rüst- und Einrichtungszeiten steigt gegenüber der Netto-Laufzeit der Maschinen. Daher kann es sinnvoll sein, auch den Rüstgrad gesondert als Kennzahl miteinzubeziehen. Bisher ist er eher im Blick, wenn generell Losgrößen reduziert werden sollen. Er zeigt aber auch, wie schnell sich eine Produktion an neue Gegebenheiten anpassen kann.
Eine weitere Kennzahl aus dem VDMA-Standard ist die First Pass Yield (FPY). Die „Erstausbeute“ beschreibt als Kennzahl den Anteil der Bauteile oder Baugruppen, die nach dem ersten Fertigungsdurchlauf – also ohne Reparaturschritte und Nacharbeiten – ohne Beanstandung die vorgegebenen Qualitätsanforderungen erfüllen. Wer insbesondere komplexe Produkte herstellt, bei denen Rohstoffe oder Vorprodukte schwer zu beschaffen sind, ist darauf angewiesen, beim ersten Versuch richtig zu liegen.
Auch diese Kennzahl kann helfen, nachzuvollziehen, ob sich die Produktion beim Thema Widerstandsfähigkeit in die richtige Richtung entwickelt. Ausschuss und nicht nur Fehlerkosten, sondern auch Materialverschwendung werden vermieden, die Ausbringungsmenge steigt.
Nachhaltigkeit optimieren
Um zu ermitteln, ob die Produktion bei der Nachhaltigkeit Fortschritte erzielt, lohnt sich zunächst ein Blick in den Bereich Qualität. Stichwort Ausschussgrad: Je niedriger er ist, desto weniger Material sowie Ressourcen verbraucht ein Unternehmen und desto weniger Abfall produziert es.
Die Qualitätsrate wiederum beziffert das Verhältnis der Gutmenge zur produzierten Menge. Diese Kennzahl kann bei Auswertungen Aufschluss darüber geben, zu welchen Zeiten und bei welchen Auftragsmengen ein Unternehmen optimal die vorhandenen Anlagen und das vorhandene Material nutzt.
Overall Equipment Effectiveness: Nicht nur beim VDMA schauen
Jenseits der VDMA-Standards gibt viele weitere sinnvolle Kennzahlen, um zu ermitteln, wie widerstandsfähig eine Produktion ist oder wie sie sich mit Blick auf Nachhaltigkeit entwickelt. Bei der Ermittlung der Resilienz können dies etwa die mittlere störungsfreie Zeit (Mean Time Between Failures, MTBF), die mittlere Reparaturdauer (Mean Time To Repair, MTTR) oder die mittlere Ausfalldauer (Mean Down Time, MDT) sein, die Hinweise auf Probleme bei der Ersatzteillogistik liefern.
Für das Thema Nachhaltigkeit liefert wiederum die Kennzahl Energiekosten pro Einheit nicht nur wichtige Informationen über Verbräuche und hilft damit, effizienter, günstiger und oft auch ressourcenschonender zu produzieren. Sie ermöglicht auch eine Kalkulation, die aufdeckt, wie nachhaltig jedes einzelne Produkt im Portfolio produziert wird. Gleiches gilt für den Anteil an Recycling-Materialien an dem insgesamt verbrauchten Material pro Einheit. Derartige Kennzahlen liefern viele Ansätze, um das Portfolio nicht nur nach Effizienz, sondern auch in puncto Nachhaltigkeit zu optimieren.
Grundsätzlich sind zusätzliche Kennzahlen nicht weniger valide als diejenigen, die im VDMA-Standard definiert sind. Mitunter erfordert es aber mehr Aufwand, sie im Reporting oder im Dashboard eines MES abzubilden als Kennzahlen, die der VDMA-Standard vorsieht.
Produktion unter neuen Vorzeichen
Wichtig bei der Nutzung von KPIs ist, dass diese revisionssicher, manipulationsfest, verlässlich und nachvollziehbar ermittelt werden. Hier nimmt das MES in sehr vielen Unternehmen bereits eine unverzichtbare Rolle ein, die weit über die eines Werkzeugs zur Fertigungskontrolle hinausgeht. Es erfasst Informationen und Messwerte automatisiert und stellt sie zur Verfügung. Diese Datenbasis gilt es weiterzuentwickeln, um mit Kennzahlen jenseits der OEE die Leistungsfähigkeit und Entwicklung der Produktion unter aktuellen Aspekten zu beurteilen.
Der Autor Peter Flieher ist Senior Consultant Manufacturing Execution Mill Products bei T.Con.
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