17.03.2020 – Kategorie: Fertigung & Prototyping

Nanoindentation: Wie maschinelles Lernen die Materialprüfung schärft

Nanoindentation mit maschinellem LernenQuelle: MIT

Wissenschaftler haben ein Konzept entwickelt, das die Genauigkeit eines Verfahrens für die Materialprüfung durch die Möglichkeiten des maschinellen Lernens verbessert.

  • Die Nanoindentation ist eine Methode der Materialprüfung zu Bestimmung des Verformungsverhaltens.
  • Die teils nicht zureichende Präzision für die Entwicklung bestimmter gewünschter Schlüsseleigenschaften eines Material steht der breiten Anwendung in der Industrie im Wege.
  • Mit maschinellem Lernen lässt sich die Vorhersage der mechanischen Eigenschaften von Materialien aber verbessern.

Wissenschaftler der Nanyang Technological University, Singapur (NTU Singapur), des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Brown University haben neue Ansätze entwickelt, welche die Genauigkeit einer wichtigen Materialprüftechnik, der Nanoindentation, durch die Nutzung der Möglichkeiten des maschinellen Lernens deutlich verbessern helfen.

Die Nanoindentation — ein Prozess, bei dem eine Probe eines Materials mit einer scharfen nadelähnlichen Spitze gestochen wird, um zu sehen, wie das Material durch Verformung reagiert — ist bei vielen Fertigungsanwendungen wichtig. Die mangelhafte Präzision beim Entwickeln bestimmter mechanischer Schlüsseleigenschaften eines Materials hat jedoch einer breiten Anwendung in der Industrie bis jetzt im Wege gestanden.

Nanoindentation mit maschinellem Lernen

Mit einem Standard-Nanoindentationsprozesses und der Einspeisung von dessen experimentell gemessenen Daten in ein System für maschinelles Lernen mit neuronalem Netzwerk entwickelten und trainierten die Wissenschaftler eine Lösung, mit der sich die Streckgrenze der Proben 20 mal genauer als mit den vorhandenen Methoden vorhersagen lässt.

Die neue Analysetechnik könnte den Bedarf an zeit- und kostenintensiven Computersimulationen reduzieren, um sicherzustellen, dass die in strukturellen Anwendungen wie Flugzeugen und Automobilen und in digitalen Fertigungstechniken wie dem 3D-Druck verwendeten Teile unter realen Bedingungen sicher verwendet werden können.

Der Hauptautor dieses Papiers, der NTU-Professor Subra Suresh, der auch der Präsident der Universität ist, sagte: „Durch die Einbeziehung der neuesten Fortschritte beim maschinellen Lernen mit Nanoindentation haben wir gezeigt, dass es möglich ist, die Schätzungen von Materialeigenschaften um bis zu 20 Mal genauer zu machen. Wir haben auch die Prognosefähigkeit und die Genauigkeitssteigerung dieses Systems an konventionell hergestellten Aluminiumlegierungen und 3D-gedruckten Titanlegierungen validiert. Dies weist auf das Potenzial unserer Methode für digitale Fertigungsanwendungen in der Industrie 4.0 hin, insbesondere in Bereichen wie dem 3D-Druck“.

Die Ergebnisse werden diese Woche in den „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ veröffentlicht.

Materielle Vorteile eines hybriden Ansatzes

Die vom Forscherteam der NTU, des MIT und von Brown entwickelte Methode ist ein hybrider Ansatz, der maschinelles Lernen mit modernen Verfahren für die Nanoindentation kombiniert.

Der Prozess beginnt damit, dass man zunächst eine harte Spitze — typischerweise aus einem Material wie Diamant — mit einer kontrollierten Geschwindigkeit und mit genau kalibrierter Kraft in das Probenmaterial einführt, während man ständig die Eindringtiefe der Spitze in das zu verformende Material misst.

Die Herausforderung ergibt sich, weil es sich als enorm komplex erweist, die resultierenden experimentell gemessenen Daten zu entschlüsseln. Das verhindere momentan die weit verbreitete Anwendung der Nanoindentation bei der Herstellung von Flugzeugen und Automobilen, so Professor Upadrasta Ramamurty von der NTU, der den Präsidentenlehrstuhl für Maschinenbau und Luft- und Raumfahrttechnik und Materialwissenschaft und -technik an der NTU innehat. Um die Genauigkeit in solchen Situationen zu verbessern, entwickelte das Team von NTU-MIT-Brown ein neuartiges neuronales Netzwerk — ein Computersystem, das dem menschlichen Gehirn nachempfunden ist – und „trainierte“ es mit einer Kombination aus echten experimentellen Daten und computergenerierten Daten. Ihr Multi-Fidelity-Ansatz umfasst sowohl reale experimentelle Daten als auch physikalisch und rechnerisch simulierte „synthetische“ Daten (aus 2D- und 3D-Computersimulationen) mit Deep-Learning-Algorithmen.

Training mit synthetischen Daten und experimentelle Ergebnisse für die Kalibrierung

Der leitende Forscher des MIT und NTU-Gastprofessor Ming Dao sagte, dass frühere Versuche, maschinelles Lernen zur Analyse von Materialeigenschaften zu verwenden, meistens die Verwendung „synthetischer“ Daten einschlossen, die vom Computer unter unrealistisch perfekten Bedingungen erzeugt worden seien — zum Beispiel wenn die Form der Indentations-Spitze perfekt scharf ist und der eindringende Körper perfekt glatt sei. Die durch maschinelles Lernen vorhergesagten Messungen waren daher ungenau. Das Training des neuronalen Netzes zunächst mit synthetischen Daten und dann mit einer relativ geringen Anzahl realer experimenteller Datenpunkte kann jedoch die Genauigkeit der Ergebnisse erheblich verbessern, war sich das Team sicher.

Die Wissenschaftler berichten auch, das Training mit synthetischen Daten lasse sich im Voraus durchführen. Eine kleine Anzahl realer experimenteller Ergebnisse könne zur Kalibrierung hinzugefügt werden, gehe es darum, die Eigenschaften der tatsächlichen Materialien zu bewerten. Prof. Suresh sagt: „Die Verwendung realer experimenteller Datenpunkte hilft, die ideale Welt, die in den synthetischen Daten angenommen wird, zu kompensieren.“ Durch die Verwendung einer guten Mischung von Datenpunkten aus der idealisierten und der realen Welt werde der Fehler im Endergebnis deutlich reduziert.

Neben Prof. Subra Suresh, Prof. Ming Dao und Prof. Upadrasta Ramamurty gehören auch der Doktorand Punit Kumar von der NTU sowie Prof. George Em Karniadakis und der Doktorand Lu Lu von der Brown University zu den Autoren.

Bild: Illustration der neuartigen Technik, die von der NTU Singapur, dem MIT und der Brown University entwickelt wurde. Bildquelle: MIT

Paper ‘Extraction of mechanical properties of materials through deep learning from instrumented indentation’ von L. Lu, M. Dao, P. Kumar, U. Ramamurty, G.E. Karniadakis und S. Suresh, veröffentlicht in PNAS

Weitere Informationen: www.ntu.edu.sg, http://www.mit.edu/, https://www.brown.edu/

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