05.10.2017 – Kategorie: IT

Multiphysik: Motorradakustik optimiert durch Simulation

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Der indische Fahrzeughersteller Mahindra nutzt multiphysikalische Simulationen in der Entwicklung von Motorrädern, um gesetzliche Anforderungen für Motorgeräusche einzuhalten und gleichzeitig die Wünsche seiner Kunden zum Auspuffsound zu erfüllen. Von Valerio Marra

Der indische Fahrzeughersteller Mahindra nutzt multiphysikalische Simulationen in der Entwicklung von Motorrädern, um gesetzliche Anforderungen für Motorgeräusche einzuhalten und gleichzeitig die Wünsche seiner Kunden zum Auspuffsound zu erfüllen. Von Valerio Marra

Indische Straßen sind ein anspruchsvolles Umfeld für Fahrzeuge jeglicher Art. Ein Unternehmen, das Fahrzeuge für diesen Markt entwickelt ist Mahindra. Dabei setzt Mahindra Two Wheelers bereits früh im Entwicklungsprozess auf digitale Unterstützung, um den Kunden sehr gute Leistungswerte, hohe Lebensdauern und exzellente Fahreigenschaften zu bieten. Unter anderem nutzt das Unternehmen die multiphysikalische Simulation zur Untersuchung des NVH-Verhaltens (NVH für Noise, Vibration, Harshness) seiner Zweiräder.

Der optimale Geräuschpegel

In einem Motor gibt es viele Geräuschquellen, wie Kolben, Getriebe, Ventile und Auspuff. Geräusche ergeben sich insbesondere durch die Einlass- und Verbrennungsprozesse. Im Verbrennungsprozess entstehen sie vor allem durch im Motor auftretende strukturelle Schwingungen, verursacht durch den schnellen Druckanstieg in den Zylindern. Diese Schwingungen setzen sich vom Antriebstrang zum Motorgehäuse über die Lager fort. Alle involvierten Komponenten strahlen entsprechend Geräusche ab.

Akustische Analysen, die allein auf experimentellen Tests basieren, können daher sehr teuer und zeitintensiv werden. Das Team bei Mahindra entschied sich daher, die physikalischen Tests um eine akustische Modellierung zu ergänzen. Auf diese Weise können sie analysieren, wie die Struktur des Motors die Geräuschabstrahlung beeinflusst.

Analyse des Einzylinders

Mit der Software Comsol Multiphysics führten die Ingenieure beispielsweise eine Analyse des akustischen Abstrahlverhaltens eines Einzylinder-Motors unter Verbrennungsdruck durch. Dafür umschlossen die sie die Außenhülle des Motors mit einem Modellierungsbereich, der von einem sogenannten Perfectly Matched Layer (PML) umgeben war. PMLs dämpfen die ausgehenden Wellen mit nur wenigen oder gar keinen Reflektionen (Bild 2). Dies reduziert die Größe des zu berechnenden Bereiches und ermöglicht dennoch genaue Ergebnisse.

Das Team entschied, ihre Analysen auf einen Frequenzbereich zwischen 800 und 2000 Hertz zu beschränken, da die physikalischen Experimente darauf hindeuteten, dass die Geräuschabstrahlung des Motors unter Verbrennungsdruck in diesem Bereich des akustischen Spektrums am stärksten ist. Durch diese Einschränkung konnte das Team Berechnungsressourcen einsparen und dennoch verstehen, welche Bereiche den größten Anteil zur Abstrahlung beitragen.

Basierend auf der Analyse wurde anschließend der Schalldruckpegel (Sound Pressure Level, kurz SPL) untersucht und Änderungen an Zylinderkopf und Motorblock, wie vergrößerte Rippenhöhen, dickere Wandstärken und Verstärkungen der Auflagerpositionen, durchgeführt. Durch eine Anpassung dieser Parameter konnte der Schalldruckpegel in dem beabsichtigten Frequenzbereich reduziert werden.

Einlassgeräusche reduzieren

Einlass- und Abgasgeräusche tragen am meisten zu den Geräuschen bei, die man beim Vorbeifahren eines Fahrzeugs wahrnimmt (Pass-by-Noise). Die Schallabstrahlung von der üblicherweise aus Kunststoff bestehenden Luftfilterstruktur hat dabei den größten Anteil am Einlassgeräusch. Für die Kunststoffwände des Luftfilters wurde daher eine Analyse der akustischen Übertragungsfunktion (Acoustic Transfer Function, kurz ATF) durchgeführt und anschließend die Struktur des Luftfilters durch Rippen modifiziert, um die ATF zu verbessern.

Analyse zu besserem Auspuffsound

Gesetzliche Vorgaben stehen bei Zweirädern häufig im Widerspruch zu den Wünschen der Zweirad-Kunden, die sich oft ein lauteres „Grollen“ des Auspuffs wünschen, weil dies als Gradmesser der Leistung eines Motorrads wahrgenommen wird. Innerhalb der Vorgaben für das Vorbeifahrtgeräusch lag die Herausforderung für die Mahindra Ingenieure nun darin, das „Grollen“ bei niedrigen Frequenzen zu steigern und gleichzeitig den Schallpegel bei höheren Frequenzen zu reduzieren.

Die wichtigste Funktion des Auspuffs ist die Dämpfung des durch den Motor verursachten Abgasgeräusches. Allerdings müssen auch Faktoren wie ein niedriger Abgasgegendruck und gesetzliche Vorgaben zum Geräuschlevel bei Vorbeifahrt berücksichtigt werden.

Verhalten eines Auspuffsystems

Das Verhalten eines Auspuffsystems wird durch drei Parameter beschrieben: Durchgangsdämpfung, Einfügungsdämpfungsmaß und abgestrahlter Geräuschpegel. Die Durchgangsdämpfung ist dabei der wichtigste Parameter. Sie wird durch das Auspuffdesign bestimmt und ist unabhängig von der Druckquelle. Das Mahindra-Team musste die Durchgangsdämpfung für einen Motorradauspuff vorhersagen und anschließend die Dämpfung mit Blick auf die gewünschten Geräuschpegel in einem bestimmten Frequenzbereich optimieren.

Für die Analyse der Durchgangsdämpfung, die mit Comsol Multiphysics durchgeführt wurde, haben die Mahindra-Ingenieure wieder den Auspuff eines Einzylinder-Motors ausgewählt. Im Acoustics-Modul der Software haben sie Randbedingungen wie Kontinuität und „akustisch harte“ Wandflächen hinzugefügt. Darüber hinaus haben die Ingenieure die Perforation der Rohre definiert, indem sie die Porositätseigenschaften des perforierten Bereiches über ein eingebautes Transferimpedanz-Modell vorgegeben haben. Die für die Analyse erforderlichen Eingabewerte waren der poröse Bereich, Schallwand- und Rohrdicke sowie der Durchmesser der Löcher.

Für poröse Materialien wie Glaswolle haben die Ingenieure den Strömungswiderstand mit einem in der Software verfügbaren porös-akustischen Modell definiert. Darüber hinaus haben sie als Eingabegröße am Einlass einen Flächendruck sowie eine Abstrahlbedingung, in Form einer ebenen Welle an den Ein- und Auslassgrenzen, vorgegeben.

Basierend auf den Ergebnissen der Analyse hat Mahindra das Auspuffdesign verändert und das Rohr innerhalb des Auspuffs verlängert. Mit dem modifizierten Auspuff konnte das Team die Durchgangsdämpfung bei niedrigen Frequenzen reduzieren und so sicherstellen, dass der Geräuschpegel in diesem Bereich gesteigert wird. So hatte das Motorrad das gewünschte „Grollen“ und blieb gleichzeitig innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Lärmpegelanforderungen.

Frühe Optimierung spart Kosten

„Mir haben die Flexibilität der Software und die verfügbaren Werkzeuge wie die Comsol API am besten gefallen“, sagte Ulhas Mohite, Leiter R&D bei Mahindra. „Diese Funktionen ermöglichten es uns, Prozessautomatisierungen mittels der Programmiersprache Java durchzuführen. So konnten wir beispielsweise bei der Akustikanalyse verschiedene Netze für verschiedene Frequenzschritte verwenden, um den besten Kompromiss zwischen Simulationsgenauigkeit und Berechnungszeit zu finden. Zudem hat es uns die Software ermöglicht, gewünschte Ausgabegrößen wie Oberflächenplots des Schalldruckpegels und Daten über den Fernfeld-Schalldruckpegel mitten im Simulationslauf automatisch zu expor­tieren.“

Mohite findet auch das Application-Builder-Werkzeug der Software sehr hilfreich: „Damit haben wir eine Simulations-App erstellt, mit der wir die Ausgabedateien der Analyse vergleichen und die Schalldruckpegeldaten darstellen konnten. Auch dies hat enorm viel Zeit eingespart.“  jbi

Autor: Valerio Marra ist Marketing Director bei Comsol.


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