22.06.2022 – Kategorie: Digitalisierung

Modulare Produktion: Der Weg zur lernenden Anlage

modulare ProduktionQuelle: Benteler

Technische Ökosysteme bieten zahlreiche neue Möglichkeiten – etwa lassen sich starre Fertigungsprozesse ablösen. In einem geförderten Projekt untersucht Benteler die modulare Produktion. Hier ein Ausblick.

Die digitale Transformation prägt die Industrie von heute. Intelligente, digital vernetzte Maschinen, Produkte, Dienstleistungen und Produktionssysteme müssen innerhalb übergeordneter technischer Ökosysteme funktionieren und zusammenarbeiten, damit Unternehmen effizient produzieren und wettbewerbsfähig bleiben können. Doch wie führt das im betrieblichen Alltag zu Mehrwerten? Um Industrieunternehmen den Wandel zu einem digitalen und kollaborativen Arbeitsumfeld zu erleichtern, nimmt das Bundesministerium für Bildung und Forschung rund 6,4 Millionen Euro in die Hand – und unterstützt das Forschungsprojekt „MoSyS“ (Menschorientierte Gestaltung komplexer Systems of Systems) des Fraunhofer-Instituts für Entwurfstechnik Mechatronik. MoSys steht dabei für die eingangs erwähnten technischen Ökosysteme. Am Ende des im Dezember 2020 gestarteten und auf drei Jahre angelegten Projekts sollen die Ergebnisse Unternehmen konkrete Hilfestellungen bei der digitalen Transformation ihrer Produktentwicklung und Produktion bieten – inklusive klarer, nachvollziehbarer Entscheidungsprozesse.

Modulare Produktion: Ein Metall-Prozess-Spezialist forscht mit

Einer der 18 Forschungsteilnehmer ist Benteler, Metall-Prozess-Spezialist und global agierender Partner der Automobilindustrie. Im Projekt untersucht das Unternehmen die Prozesskette von der Entwicklung bis zur Herstellung am Beispiel einer Verbundlenkerachse. Dabei handelt es sich um eine Bauart der Hinterachse bei Automobilen mit Frontantrieb. Der Geschäftsbereich Automotive analysiert dabei sämtliche Schritte von der Kundenanfrage über die Produkt- und Prozessentwicklung bis hin zur Produktion und deckt Verbesserungspotenziale auf.

So sollen Grundlagen erarbeitet werden, um einen Digitalen Zwilling des realen Produktionssystems zu erstellen. Mit der virtuellen Kopie soll eine durchgängige digitale Prozesskette über den gesamten Prozess etabliert werden.

Mit dem Digitalen Zwilling kann das Unternehmen beispielsweise testen, wie die Prozesskette zur Herstellung eines Produkts funktioniert. Zudem lassen sich einzelne Parameter verändern, um virtuell auch andere Produkte oder Varianten eines Produkts herzustellen. Die gewonnenen Erkenntnisse können anschließend in Realität angewendet werden. Dies führt letztlich zu reiferen Planungsständen und verkürzten Inbetriebnahmen der Produktionsanlagen. Beispielsweise sollen künftig dedizierte Produktionsanlagen, mit denen nur ein Produkt gefertigt werden kann, durch modulare Produktionssysteme abgelöst werden, die flexibel mehrere Produkte fertigen können. Zur Planung, Entwicklung und Inbetriebnahme dieser komplexen Systeme werden in dem Projekt agile Arbeitsweisen, Analysemethoden, Verfahren der künstlichen Intelligenz, Lösungsmuster und digitale Werkzeuge entwickelt.

Anlagen durch modulare Produktion flexibler planen

Hintergrund ist, dass die stetig zunehmende Volatilität, Variantenvielfalt und Individualisierung in der Automobilbranche neue Herangehensweisen erfordert, um Produktionsmittel zu planen und flexibel einzusetzen. Denn Produktionssysteme basieren bisher auf einer hochautomatisierten, starren Verkettung von Produktionsanlagen. So lassen sie sich bei geringen Auslastungen nicht schnell genug an Marktveränderungen und Kundenbedürfnisse anpassen. Um die Dynamik des Marktes abzubilden, müssen die am Projekt beteiligten Benteler-Fachleute unterschiedliche Szenarien evaluieren. Das betrifft zum Beispiel die Höhe des Auftragsvolumens oder gewünschte Produktvarianten. Hier kommen Impact-Analysen im Rahmen einer integrativen Produkt- und Wertschöpfungssystementwicklung (IPW) zum Einsatz.

Eine Kernfrage hierbei lautet, welche Informationen im integrativen Entwicklungsprozess zwischen Produkt und Wertschöpfungssystem zu spezifischen Zeitpunkten ausgetauscht werden müssen und welche Wirkzusammenhänge zwischen den Produktinformationen und den Produktionssysteminformationen bestehen. Ziel ist es, dass Änderungen auf Seiten des Produktes automatisch notwendige Änderungen am Produktionssystem anzeigen. Eine geplante Volumenänderung könnte zum Beispiel durch eine Verkürzung der Taktzeit umgesetzt werden – dann sollte das System auf Produktseite die möglichen Engpässe aufzeigen, die die neue Taktzeit nicht erreichen.

Vollständig digitalisierter Produktionsprozess für mehr Qualität

Die Produktion der Automotive-Sparte des Unternehmens ist im Rahmen von Industrie 4.0 bereits wesentlich digitalisiert worden. Dennoch kombinieren die Planer bei der Entstehung und Validierung von Produkten und Prozessen häufig analoge und digitale Werkzeuge. Daher existieren heute noch Brüche in der digitalen Entwicklungskette. Simulationsergebnisse, aktuelle Anlagenparameter, Qualitätsdaten und Kennzahlen lassen sich nicht immer ohne Medienbruch in die Entwicklung von Produkten oder Produktionssystemen zurückspielen. Auf diese Weise sind Aktualität und Konsistenz der Daten gefährdet, was zu Qualitätsproblemen, Verzögerungen und höheren Kosten im Entwicklungsprozess sowie im Serienanlauf führen kann. Benteler plant deshalb, die vorhandenen Medienbrüche und Lücken zwischen Produkt-, Produktionssystementwicklung und Produktion zu identifizieren und zu eliminieren.

Der Digitale Zwilling soll die Erfahrungen aus Prototypenbau und Produktion enthalten, sodass Produkt- und Prozessplaner auf aktuelle Simulations-, Leistungs- und Qualitätsdaten der realen Module zugreifen und diese Informationen in den Planungsprozess einfließen können.

Datenplattform für mehr Durchblick und für die modulare Produktion

Für die Produktion hat das Unternehmen die Smart Production Data Platform entwickelt. In dieser werden die Produktionsdaten bis auf Sensorebene in einem Datenbanksystem (InfluxDB) für Zeitreihen abgelegt und analysiert. Die 3D-Produktdaten werden in der Unternehmenssoftware SAP sowie in Enovia verwaltet, einer Software-Anwendung, die das kollaborative Projekt- und Datenmanagement unterstützt. Daten zur Produktionssystementwicklung hingegen bearbeiten und verwalten die Mitarbeiter in einer heterogenen Umgebung mit verschiedenen Tools je nach Produkt und Aufgabe.
Im Rahmen des Forschungsprojektes MoSyS fasst Benteler die Informationen aus den verschiedenen unabhängigen Quellen zusammen und konzipiert gemeinsam mit den Projektpartnern ein Informationsmodell, welches die Produkt- und Produktionssystementwicklung sowie die Produktion miteinander vernetzt. Nach der Implementierung evaluiert das Unternehmen das Modell. Langfristig will es über technische Ökosysteme eine weitaus größere Produktionsflexibilität und höhere Qualität erreichen. Am Ende soll von all dem der Kunde profitieren, indem dessen Anfragen noch schneller beantwortet und Aufträge beschleunigt umgesetzt werden können.

Autor:        Dr.-Ing. Jürgen Fründ, Project Leader Innovation Projects Manufacturing Engineering (ME) bei Benteler Automotive

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