Mehr Einsicht in die Bearbeitung dank sensorischem Werkzeughalter

Werkzeughalter

In diesen Tagen kommt ein neuer, sensorischer Werkzeughalter auf den Markt. In einer ersten Pilotapplikationen hat das smarte Hydro-Dehnspannfutter gezeigt, welche Anwendungsfelder künftig von der smarten Aufnahme profitieren können.

Schwingungen, Rattermarken, Werkzeugversagen – all diese Herausforderungen könnten bald der Vergangenheit angehören. Ein neuer, feinfühliger Werkzeughalter ist in der Lage, den Zerspanungsprozess lückenlos zu erfassen, zuvor definierte Grenzwerte zu überwachen und bei Unregelmäßigkeiten beispielsweise eine adaptive Regelung von Drehzahl und Vorschub in Echtzeit zu ermöglichen.

Je nach Vibration reagieren

Ein Sensor nebst Akku und Sendeeinheit im intelligenten Werkzeughalter erfasst den Prozess mit 5 kHz unmittelbar am Werkzeug. Ein Algorithmus ermittelt fortlaufend den sogenannten IFT-Wert, eine Kenngröße für die Prozessstabilität, die die gemessene Schwingung als Zahlenwert auf einer definierten Intensitätsskala wiedergibt – ähnlich der Richterskala bei Erdbeben. Wird der Schnitt instabil, greift die integrierte Intelligenz in Echtzeit mit einer Latenz von rund 20 Millisekunden und ohne Zutun des Bedieners ein: Je nach Situation wird der Prozess gestoppt, auf zuvor definierte Basisparameter reduziert oder adaptiert, die Zustellung von Werkzeugen verändert, Schwesterwerkzeuge eingewechselt oder Meldungen an Bediener abgesetzt. Passend zur jeweiligen Anwendung können über einen Webservice sowohl die Grenzwerte als auch entsprechende Reaktionen bei deren Überschreitung definiert werden.

Smarte Werkzeughalter als Lösung

Der smarte Werkzeughalter erfasst die Daten unmittelbar am Werkzeug und überträgt sie drahtlos via Bluetooth an eine Empfangseinheit im Maschinenraum, von wo sie per Kabel an eine Regel- und Auswerteeinheit weitergeleitet werden.

Damit unterscheidet sich das System grundlegend von anderen Lösungen zur Prozessüberwachung. Während eine Überwachung der Stromaufnahme der Spindel nur diffuse Signale zum Schwingungsverhalten ermöglicht, liefert die intelligente Werkzeugaufnahme präzise Prozessdaten in hoher Auflösung. Die Rede ist vom iTendo von Schunk. Er beginnt genau dort, wo die klassische Prozessüberwachung an Grenzen stößt, und ergänzt diese wirkungsvoll.

Werkzeughalter
Beispiel 1: Die smarte Aufnahme erkennt Werkzeugverschleiß beim Bohrsenken. Bild: Schunk

Pilotprojekte zeigen Potenzial

Wie eine solche Prozessüberwachung konkret aussieht, verdeutlichen mehrere Pilotapplikationen, die in Zusammenarbeit mit Anwendern im Schunk-Tec-Center in Lauffen realisiert wurden.

  • Adaptives Fräsen: Bei der Bearbeitung von Werkstücken mit variierendem Aufmaß galt es bislang abzuwägen, ob die Priorität eher bei der Bearbeitungszeit oder bei der Oberflächenqualität liegt. Mit dem smarten Werkzeughalter lässt sich beides optimieren: Während schmale Bereiche schwingungsfreie Override-Werte von 100 Prozent ermöglichen, wird der Prozess bei breitem Aufmaß automatisch auf einen Override von rund 90 Prozent reduziert. Unterm Strich ergeben sich damit kurze Bearbeitungszeiten bei optimaler Oberflächenqualität und Werkzeugschonung.
  • Bohrsenken: Beim kombinierten Bohrsenken von dünnwandigen Großbauteilen in der Flugindustrie besteht die Gefahr, dass es mit zunehmendem Verschleiß des Werkzeugs oder labiler Aufspannung zu Rattermarken in der Senkung kommt. Wird der Prozess mit dem sensorischen Werkzeughalter überwacht, kann bei auftretenden Schwingungen automatisch ein Schwesterwerkzeug eingewechselt werden oder eine Meldung an den Bediener erfolgen. Die Dokumentation von qualitätsrelevanten Merkmalen als Report pro Bauteil soll demnächst über eine App realisiert werden.
  • Mikrozerspanung: Bei der Bearbeitung von Injektordüsen mit Schneidendurchmessern kleiner einem Millimeter besteht die Gefahr, dass Werkzeuge brechen, ohne dass dies über die universelle Prozessüberwachung der Spindel erkannt wird. Mit dem iTendo lässt sich nun sowohl ein Werkzeugbruch als auch ein zunehmender Werkzeugverschleiß erfassen. Über Trendauswertungen ist es möglich, das Erreichen der Verschleißgrenze zu bestimmen und einen rechtzeitigen Werkzeugwechsel zu veranlassen, ohne dass es zu Fehlteilen oder Werkzeugbruch kommt.
  • Entgraten: In Entgratanwendungen entscheidet meist die Erfahrung der Bediener darüber, wann Bürsten und andere rotierende Werkzeuge zugestellt werden. Mit dem neuen Werkzeughalter lässt sich auch dieser Prozess automatisieren, diesmal jedoch in umgekehrter Logik: Über eine Trendauswertung erfasst der Werkzeughalter einen Rückgang der Schwingungen. Wird ein zuvor gesetztes Limit erreicht, wird die Bürste automatisch zugestellt oder gewechselt.
Werkzeughalter
Beispiel 2: Trendauswertung von Werkzeugverschleiß und Erkennung von Werkzeugbruch in der Mikrozerspanung. Bild: Schunk

Start mit gängiger Schnittstelle

Im ersten Schritt wird das smarte Hydro-Dehnspannfutter für die gängige Schnittstelle HSK-A-63 mit Spanndurchmessern von 6 bis 32 Millimetern und einer Länge von 130 Millimetern standardisiert. Es lässt sich nachrüsten, ohne dass eine Modifikation oder ein Tausch von Maschinenkomponenten erforderlich ist. Der sensorische Werkzeughalter verfügt über identische Störkonturen wie konventionelle Werkzeugaufnahmen und kann bis 10.000 Umdrehungen pro Minute genutzt werden.

Auch der Einsatz von Kühlschmiermittel ist wie gewohnt möglich. Die erforderliche Hardware ist direkt in den Werkzeughalter integriert, ohne dessen Eigenschaften zu beeinflussen. Komplettiert wird das System über einen Datenempfänger im Maschinenraum sowie eine Kontrolleinheit im Schaltschrank. Im permanenten Einsatz liegt die Batterielebensdauer des Werkzeughalters bei 10 Stunden, im Standby-Betrieb im Werkzeugmagazin bei 14 Tagen.

Einfache Einbindung der Werkzeughalter

Die Inbetriebnahme des Werkzeughalters und die Analyse der Daten erfolgen über ein browserbasiertes Dashboard auf handelsüblichen PCs, Tablets oder Smartphones.

In der einfachsten Ausbaustufe, die komplett ohne maschinenseitige Anpassungen realisiert werden kann, lassen sich die Live-Daten des Sensors über eine lokale Anbindung unmittelbar am Dashboard anzeigen. Hierfür bietet der Hersteller ein spezielles Koffersystem mit integriertem Display an, über das der Werkzeughalter mit minimalem Aufwand innerhalb von zwei Stunden in Betrieb genommen werden kann.

In einer zweiten Ausbaustufe wird der Echtzeitcontroller idealerweise von einem Servicetechniker über digitale beziehungsweise analoge I/O mit der Maschinensteuerung verbunden, so dass beispielsweise Alarme ausgelöst oder Prozesse adaptiv geregelt werden können.

Die dritte und höchste Ausbaustufe wiederum ermöglicht zusätzlich einen Informationsaustausch mit der Maschine, beispielsweise über OPC UA, wenn die aktuellste Siemens-Steuerung im Einsatz ist. Alle Varianten können auch über eine Cloudlösung betrieben und zentral gesteuert werden.

Die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten hat selbst die Experten bei Schunk überrascht. Am Tec-Center in Lauffen ist man daher auch weiterhin offen, um zusätzliche Anwendungsfelder unter Labor­bedingungen zu testen.

Raoul Dessel ist Executive Vice President bei Schunk in Lauffen.

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