28.03.2013 – Kategorie: Technik
Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), über Trends in der Elektromobilität
AUTOCAD & Inventor Magazin: Herr Wissmann, haben Sie bereits im Alltag Erfahrungen mit einem Elektrofahrzeug sammeln können?
Matthias Wissmann: Ja, ich bin verschiedene E-Modelle unserer Hersteller Probe gefahren. Das ist ein tolles Fahrgefühl. Nicht nur, dass die Elektroautos fast geräuschlos unterwegs sind, sie haben auch eine kraftvolle Beschleunigung.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Was müsste ein Elektrofahrzeug verkörpern, um massentauglich zu sein?
Matthias Wissmann: Elektroautos müssen genauso sicher, komfortabel und alltagstauglich sein wie herkömmliche PKW. Nur dann sind sie für die Kunden attraktiv. Darüber hinaus müssen sie auch für Menschen mit normalem Geldbeutel erschwinglich sein. Für viele Kunden sind Preisunterschiede von einigen hundert Euro zwischen einzelnen Modellen kaufentscheidend.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Bundesregierung und Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) wollen Deutschland bis 2020 mit mindestens einer Million Fahrzeugen zum Leitmarkt für Elektromobilität machen, dies wurde vor kurzem noch einmal bekräftigt. Bis jetzt sind aber nur wenige Elektrofahrzeuge auf den Straßen zu sehen. Wie lässt sich das Ziel verwirklichen?
Matthias Wissmann: Das Ziel ist sehr ambitioniert. Ohne begleitende zusätzliche Maßnahmen der Politik rechnet die NPE eher mit 600’000 Fahrzeugen. Ob Deutschland Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität wird, hängt daher nicht nur von den technologischen Fortschritten, sondern auch von den politischen Rahmenbedingungen ab. Sie entscheiden mit darüber, wo die Märkte für Elektromobilität entstehen. Elektrofahrzeuge werden aufgrund der hohen Batteriekosten noch über einige Jahre teurer sein als vergleichbare Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Durch Fortschritte in Forschung und Entwicklung sowie innovative Produktionstechnologien in der Serienfertigung werden die Preise zwar weiter sinken. Aber klar ist: Zu Beginn braucht der Markthochlauf aktive Begleitung. Deswegen kommt es jetzt darauf an, die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen und Projekte konsequent umzusetzen.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Wie schätzen Sie den Beitrag der deutschen Automobilhersteller zur Elektromobilität auf diesem Weg ein?
Matthias Wissmann: Die ersten Elektroautos sehen Sie bereits auf unseren Straßen. Bis 2014 werden die deutschen Hersteller 15 neue elektrifizierte Serienmodelle auf den Markt bringen. Bei Clean Diesel und Benziner sind die deutschen Automobilunternehmen die innovativsten weltweit. Natürlich wollen wir auch bei der Elektromobilität ganz vorne mit dabei sein. Den klassischen Antrieb immer weiter zu verbessern und gleichzeitig die Zukunftstechnologien massiv voranzutreiben, bedeutet einen enormen finanziellen Aufwand. So investiert die deutsche Automobilindustrie allein in den kommenden drei bis vier Jahren 10 bis 12 Milliarden Euro in alternative Antriebe, das sind 40 Prozent aller Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, die die Automobilindustrie insgesamt für die Antriebstechnik ausgibt. Dem steht ein erwarteter Umsatzanteil von gerade einmal 5 Prozent bei Elektro- und Hybridautos gegenüber. Wir gehen also enorm in Vorleistung.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Auch der Verbrennungsmotor hat noch Verbesserungspotenzial, und die deutschen Automobilhersteller spielen bei der Entwicklung verbrauchsarmer, effizienter Otto- und Dieselmotoren ganz vorne mit. Was verspricht man sich überhaupt vom Engagement in der Elektromobilität?
Matthias Wissmann: Die Elektromobilität ist ein zentraler Meilenstein auf dem Weg weg vom Öl. Gerade in urbanen Regionen, in denen die zu fahrenden Strecken kurz sind, hat der elektrische Antrieb enormes Potenzial. Allerdings setzen wir nicht allein auf die Elektro-Karte. Das Rennen um den Antrieb der Zukunft ist noch nicht entschieden. Auch Wasserstoff und Brennstoffzelle sind Optionen, und natürlich die gesamte Hybrid-Palette. Der Erdgasantrieb hat schon seinen festen Platz unter den Antrieben. Noch ist völlig offen, welches Antriebskonzept künftig technisch, ökonomisch und ökologisch das überzeugendste sein wird.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Technische Herausforderungen wie die geringe Reichweite, die fehlende Infrastruktur, die ungenügende Batterielebensdauer, das Gefahrenpotenzial der Batterien sind immer noch nicht befriedigend gelöst. Was sollte hier ganz oben auf der Agenda stehen?
Matthias Wissmann: Der größte Forschungsbedarf besteht derzeit sicher bei der Batterie- und Zellfertigung, denn eine leistungsfähige, zuverlässige und langlebige Batterietechnologie ist der Schlüssel für das elektrische Fahren. Für Kosten, Reichweite, Speicherkapazität, Zyklenfestigkeit und Ladefähigkeit der Batterie müssen noch Lösungen gefunden werden, die technisch und wirtschaftlich überzeugen. Es geht vor allem darum, den Wirkungsgrad der Batterie weiter zu erhöhen. Bis zum Jahr 2025 peilen wir hier Fortschritte um den Faktor drei bis vier an.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Viele dieser Aufgaben würden eine enge Zusammenarbeit zwischen Autoindustrie, Energiewirtschaft und Informationstechnik erfordern. Gibt es hier entsprechende Denkansätze?
Matthias Wissmann: Genau das ist ja die Idee der Nationalen Plattform Elektromobilität. Alle beteiligten Industrien sitzen hier an einem Tisch, außerdem die Wissenschaft, die Umweltverbände, die Gewerkschaften und nicht zuletzt die Politik. Durch diese weltweit einzigartige Vernetzung hat die Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland bereits sichtbar Fahrt aufgenommen. So sind etwa im Bereich der Normung durch die enge Zusammenarbeit von Automobil- und Elektroindustrie erhebliche Fortschritte erzielt worden. In der jetzigen Phase brauchen wir vor allem eine intensive Grundlagenforschung, verstärkte Hochschulausbildung, insbesondere im Bereich der Elektrochemie, und eine enge Zusammenarbeit von Universitäten, Forschungsinstituten und Industrie bei der Entwicklung von Pilotanlagen.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Welche Impulse erwarten Sie von den Hochschulen und Forschungsinstituten?
Matthias Wissmann: Neben der Grundlagenforschung können Forschungsinstitute und Universitäten neue Verfahren entwickeln und eine fundierte Ausbildung sichern. So brauchen wir zum Beispiel mehr elektrochemische Lehrstühle. Institute wie Helmholtz und Fraunhofer oder auch Hochschulinstitute sollten in einer vorwettbewerblichen Gemeinschaftsforschung die Anstrengungen der Industrie begleiten. Unsere Firmen investieren massiv und führen – zusammen mit wissenschaftlichen Partnern – umfangreiche Projekte etwa zur Erforschung der Lithium-Ionen-Technologie durch. Wir kommen nur zusammen zum Erfolg. Das ist moderne Forschungspolitik, wie sie seit Ludwig Erhard in Deutschland stattfindet. Dabei muss man die Relation beachten. Der Staat hat zugesagt, dass er bis 2013 eine Milliarde Euro für Forschung und Entwicklung in die Hand nimmt, während die Industrie bis 2014 insgesamt 17 Milliarden Euro investiert.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Wenn man einmal zwei wichtige Voraussetzungen für die E-Mobilität betrachtet, den Stand der elektrischen Antriebstechnik und die Batterie-Entwicklung: Wie ist die deutsche Industrie hier im Vergleich zu anderen Ländern aufgestellt?
Matthias Wissmann: Kein Wettbewerber weltweit, ob in den USA, in China, in Japan oder in Frankreich, hat bei der Elektromobilität einen uneinholbaren Vorsprung. Das Langstreckenrennen um die Elektromobilität gewinnt nicht der, der zuerst startet, sondern derjenige, der als erster im Ziel ist. Nach dem aktuellen Elektromobilitätsindex EVI, der den Fortschritt bei der Entwicklung alternativer Antriebe und die Reife von Elektromobilitätsmärkten misst, liegt Deutschland auf einem der vorderen Plätze und hat inzwischen auch China überholt. Bei den Prototypen von Elektroautos sind wir sogar Spitzenreiter.
Die deutsche Industrie ist in vielen Feldern Technologie- und Innovationsführer: Auto, Elektronik, Energietechnik, Chemie. Unser Ziel ist, diesen Technologievorsprung ins anbrechende Zeitalter der Elektromobilität zu übertragen.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Nach einer im vergangenen Jahr erschienenen Studie von Roland Berger Strategy Consultants habe die deutsche Autoindustrie derzeit nicht den technologischen Erfahrungshintergrund, um kurzfristig Elektromotoren zu produzieren. Die Motoren sind doch aber das Herzstück in der Automobilentwicklung und Fertigung. Warum sehen wir hier nicht mehr Zusammenarbeit, zum Beispiel mit Maschinenbauunternehmen oder auch Zukauf entsprechender Unternehmen, die bereits Erfahrungen in der elektrischen Antriebstechnik gesammelt haben?
Matthias Wissmann: Hersteller und Zulieferer haben in den vergangenen Jahren ihre Forschungsaktivitäten massiv aufgestockt und neue Zentren für die Produktentwicklung gegründet. Dabei haben sich auch neue Partnerschaften gebildet. Geforscht wird an allen Bestandteilen des elektrifizierten Antriebsstrangs – vom Batteriesystem über die Leistungselektronik bis hin zur E-Maschine und Nebenaggregaten. Elektromotoren in verschiedensten Ausprägungen gehören seit Jahren in die breite Produktpalette unserer Hersteller und Lieferanten. BROSE, BOSCH, Continental, ZF, um nur einige zu nennen, sind hier gut aufgestellt. Beispiele sind die Hybridlösungen von ZF, die den direkt auf dem Antriebsstrang sitzenden Elektromotor in Schweinfurt entwickeln und produzieren oder die neuen Motoren von Continental, die die ersten ihrer Art sind, die in hohen Stückzahlen für den automobilen Serieneinsatz gefertigt werden und dabei frei von seltenen Erden sind.
Dass unsere Unternehmen im weltweiten Vergleich technologisch sehr gut aufgestellt sind, hat unter anderem kürzlich auch der „Quartalsindex Elektromobilität“ von Roland Berger bestätigt.
Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA): „Wir setzen nicht allein auf die Elektro-Karte. Das Rennen um den Antrieb der Zukunft ist noch nicht entschieden. Auch Wasserstoff und Brennstoffzelle sind Optionen, und natürlich die gesamte Hybrid-Palette.“
AUTOCAD & Inventor Magazin: Die US-Regierung subventioniert den Bau von Batterie-Fabriken ganz massiv. Der Marktanteil der USA konnte so in wenigen Jahren vervielfacht werden. Kann das ein Vorbild sein?
Matthias Wissmann: Bei der Forschung sehen wir auch in Deutschland bereits erhebliche Fortschritte. So sind zum Beispiel in Dresden, München, Münster und Ulm Kompetenzzentren für die Batterieforschung entstanden. Darüber hinaus aber brauchen wir eine weltweit wettbewerbsfähige Batterie- und Zellproduktion. Dafür ist – zusätzlich zu den Forschungsaktivitäten – eine gezielte Förderung der Industrialisierung sowie des Aufbaus von Pilotfertigungen mit einem signifikanten Produktionsvolumen nötig. Für die Zukunft kommt es entscheidend darauf an, dass Deutschland als Entwicklungs- und Produktionsstandort für die Elektromobilität attraktiv ist. Hier geht es um eine strategische Weichenstellung für unseren Industriestandort.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Im Regierungsprogramm für Elektromobilität werden Möglichkeiten aufgezählt, die Elektromobilität finanziell und in der Alltagsnutzung auf der Konsumentenseite zu fördern, etwa durch Kaufanreize, Steuerbefreiungen oder Vorzugsbehandlung bei der öffentlichen Beschaffung. Was halten Sie von diesen Maßnahmen und wo sehen Sie noch zusätzlichen Förderbedarf?
Matthias Wissmann: Die großen Anstrengungen der Industrie bei der Entwicklung dieser Zukunftstechnologie müssen durch einen intelligenten Maßnahmenmix begleitet werden. Die beschlossene Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung für Elektroautos von fünf auf zehn Jahre und der Nachteilsausgleich bei der Firmenwagensteuer sind erste richtige Schritte. Sie sollten zügig umgesetzt werden, denn der Markt wird zu Beginn vor allem über Firmenwagenflotten wachsen. Zudem sollte die öffentliche Hand bei der Anschaffung von E-Fahrzeugen mit gutem Beispiel vorangehen. Ich hoffe, dass staatseigene Unternehmen wie Bahn und Post in ihren Flotten Zeichen setzen. Große Bedeutung haben auch die vier geplanten Schaufenster Elektromobilität. Diese Testfelder machen das elektrische Fahren für jeden erlebbar und können wertvolle Erkenntnisse über das Nutzerverhalten und mögliche Geschäftsmodelle liefern.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Wie wird Ihrer Ansicht nach das Auto in acht Jahren wirklich aussehen?
Matthias Wissmann: Ende des Jahrzehnts wird noch ein Großteil der Autos mit optimierten Verbrennungsmotoren fahren. Wir erwarten, dass der Umsatzanteil von Fahrzeugen mit alternativem Antrieb dann bei rund 5 Prozent liegen wird. Die Autos werden noch sicherer und komfortabler werden, die Zahl der serienmäßig eingebauten Assistenzsysteme nimmt stetig zu. Die Fahrzeuge der nächsten und übernächsten Generation werden vor allem weniger Kilos auf die Waage bringen als ihre Vorgänger – auch das spart Sprit und senkt die CO2-Emissionen.
AUTOCAD & Inventor Magazin: Herr Wissmann, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Müller.
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