16.02.2018 – Kategorie: Fertigung, IT, Management, Technik

Materialfluss: Das holt Kollege Roboter

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Unproduktive Arbeitsschritte sind die Kostentreiber in der Produktion. Die Bierbaum-Unternehmensgruppe ist dieses Problem angegangen und nutzt für fabrikinterne Transporte fahrerlose Systeme. Die neue Generation der Transportsysteme navigiert dank WLAN und Sensorik weitgehend autark. von Olaf Dähn

Unproduktive Arbeitsschritte sind die Kostentreiber in der Produktion. Die Bierbaum-Unternehmensgruppe ist dieses Problem angegangen und nutzt für fabrikinterne Transporte fahrerlose Systeme. Die neue Generation der Transportsysteme navigiert dank WLAN und Sensorik weitgehend autark. von Olaf Dähn

Das deutsche Textilunternehmen Bierbaum mit Hauptsitz in Borken beschäftigt 490 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2016 einen Jahresumsatz von 112,5 Millionen Euro. Die beiden Schwerpunkte der Bierbaum-Produktion sind technische Vliese und vor allem Bettwäsche. Letztere wird unter Marken wie Bierbaum Wohnen, Irisette, Strenesse und zahlreichen Eigenmarken des Handels vertrieben. „Durch die zunehmende Automatisierung wird die Produktion von Textilien auch in Deutschland wieder interessant“, gibt sich Geschäftsführer Jan-Frederic Bierbaum optimistisch und ergänzt: „Industrie 4.0 ist durchaus keine Fiktion mehr. Die voll automatisierte Produktion ist zum Greifen nah.“

Zukunft durch Digitalisierung

Das Unternehmen investiert daher intensiv in Digitalisierung und arbeitet ständig an der weiteren Automatisierung seiner Produktion. Das Ergebnis ist schon heute erkennbar. So sind zum Beispiel im Werk Borken nur noch relativ wenige Mitarbeiter direkt an den Produktionsprozessen beteiligt. Das geht bis hin zur vollautomatischen Konfektionierung, bei der komplette Kissen und Bettbezüge zugeschnitten und genäht und selbst die Reißverschlüsse ohne menschliches Zutun eingesetzt werden.

Jan-Frederic Bierbaum verweist auf einen entscheidenden Vorteil, den eine Produktion hier in Deutschland mit sich bringt: „In Fernost herrscht nicht nur ein völlig anderes Qualitätsbewusstsein, als wir es kennen. Auch läuft dort noch viel von Hand; unter teilweise problematischen Bedingungen“, erklärt er. „Dazu kommt nicht nur ein recht sorgloser Umgang mit der Umwelt. Es kann auch niemand überprüfen, mit welchen Farben Bettwäsche bedruckt wird und welche Giftstoffe in Textilien enthalten sind.“ Bierbaum setzt nicht nur gezielt auf Bettwäsche aus 100 Prozent Baumwolle. Das Unternehmen garantiert auch eine schadstoffgeprüfte Ware nach dem Oeko-Tex-Standard 100. Außerdem werden ausschließlich europäische Chemikalien eingesetzt, die den hiesigen Normen entsprechen.

Roboter statt manuelle Arbeit

Ein Beispiel für die Fabrik von morgen demonstriert Bierbaum beim Textildruck im Werk Borken. Die zum Bedrucken der Textilien benötigten Farben mischt das Unternehmen in einer eigenen Farbküche, die diese in Kunststoffeimern bereitstellt. Früher waren zahlreiche Mitarbeiter damit beschäftigt, diese Eimer abzuholen und zu den vier Rotations-Druckmaschinen zu bringen. Doch „Menschen sind für solche Tätigkeiten eigentlich zu schade“, ist Jan-Frederic Bierbaum überzeugt und suchte nach einer zukunftsfähigen Alternative. Die Lösung wurde in Zusammenarbeit mit InSystems Automation realisiert. Der Automatisierungsspezialist für Produktion, Materialfluss und Qualitätsprüfung aus Berlin schlug dafür das fahrerlose Transportsystem (FTS) proAnt vor.

Die kompakten und wendigen Transportroboter fahren selbstständig die Übergabestation der Farbküche an, wo nach erfolgreichem Andocken ein angetriebenes Rollenband aktiviert wird, das dann einen Farbeimer an das Transportsystem übergibt. An den Übergabestationen der einzelnen Druckmaschinen findet derselbe Vorgang in umgekehrter Reihenfolge statt. Dabei werden nicht nur volle Eimer angeliefert, sondern auch gleich die leeren Eimer zur Farbküche zurückgebracht.

Drahtlos flexibel

Die selbstfahrenden Systeme sind nahtlos in die Prozessautomation des Werkes integriert. Die für ein Produktionslos benötigte Farbe wird in der Farbküche disponiert und von den Mitarbeitern an der Druckmaschine genau nach Bedarf abgerufen. Dieser Abruf löst auch einen Fahrauftrag für den jeweils nächsten verfügbaren Roboter aus, der daraufhin völlig autonom reagiert und die Übergabestation der Farbküche ansteuert.

Um mit den sich frei im Raum bewegenden Robotern kommunizieren zu können, richtete Bierbaum erstmals ein WLAN-Netzwerk ein. Die Roboter wurden mit Scalance-W734-1-RJ45-Client-Modulen von Siemens ausgestattet. Diese Client-Module zeichnen sich durch eine kompakte Bauweise aus und wurden speziell für einen zuverlässigen Betrieb in anspruchsvollen Industrieumgebungen entwickelt. Die Einbindung der Roboter in das Produktions-Datennetzwerk erfolgt über eine gesicherte drahtlose Kommunikation mit einer Übertragungsrate von bis zu 300 Mbit/s (brutto).

Neben der Software zur Auftragssteuerung kommuniziert das System auch mit dem Flottenmanagement-Server, der über eine grafische Benutzeroberfläche (Graphical User Interface – GUI) bedient wird. Der Flottenmanager überwacht den Zustand der Fahrzeuge und stellt ihnen die Navigationskarte zur Verfügung, die auch in der GUI angelegt und bearbeitet wird.

Bierbaum-Projektleiter Daniel Kock erläutert: „Die vier Roboter sind ja eigentlich erst der Anfang. Wir sind davon überzeugt, dass speziell in dieser FTS-Lösung großes Potenzial steckt. In absehbarer Zeit werden sämtliche Transportvorgänge im Werk über solche Systeme erfolgen.“

Intelligente Lösung

FTS wie proAnt erkennen nicht nur Menschen und Gegenstände, die sich ihnen in den Weg stellen. Sie sind auch in der Lage, Hindernisse selbstständig zu umfahren. Sie können sich sogar einen völlig anderen Weg suchen, falls eine Route versperrt sein sollte. Dabei sind sie absolut personensicher und können völlig problemlos mit Menschen zusammenarbeiten. Erscheint ein Hindernis im Sichtfeld – ganz gleich ob es eine abgestellte Palette oder ein Mensch ist – verlangsamt der Roboter seine Fahrt, navigiert um das Hindernis herum oder stoppt. „Der Materialfluss mit den Transportrobotern fügt sich in die bestehende Bierbaum-Produktion ein und konnte ohne baulichen Aufwand in Betrieb genommen werden“, kommentiert InSystems-Projektleiter Lennard Held.

Während bisherige Systeme meist auf Induktionsschleifen im Boden angewiesen waren und damit nur einer starren, vorher festgelegten Route folgen konnten, weisen die proAnt-Roboter einen entscheidenden Schritt weiter in Richtung Industrie 4.0. Sie orientieren sich über einen Laserscanner, der sich an den in der Halle vorhandenen Konturen wie Wänden, Säulen und anderen festen Installationen orientiert. Bei einem ersten Initialisierungslauf kartografiert der Scanner seine Umgebung und ist danach in der Lage, völlig selbstständig zum beauftragten Ziel zu navigieren.

„Momentan befinden wir uns in der Optimierungsphase“, erläutert Jan-Frederic Bierbaum den Stand der Entwicklung. „Aber wir sehen in solchen fahrerlosen Transportsystemen einen wesentlichen Schlüssel für die Beseitigung nicht-produktiver Arbeitsschritte.“ Er ist davon überzeugt, dass neue Automatisierungstechniken und eine lückenlose drahtlose Kommunikations-Infrastruktur entscheidend dazu beitragen werden, künftig wieder da zu produzieren, wo auch der Bedarf ist. Und er hält es für eine falsche Vorstellung, dass Automatisierung zwangsläufig ein Arbeitsplatzkiller ist: „In der Summe geht dadurch kein Arbeitsplatz verloren, aber es wird eine höhere Effizienz bei gleichzeitig sinkenden Kosten erreicht. Wir können heute in Deutschland zu günstigeren Kosten produzieren als im fernen Osten.“ jbi

Olaf Dähn ist Sales Specialist für Industrielle Kommunikation bei Siemens.


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