12.10.2023 – Kategorie: Digitalisierung

KI in der Qualitätskontrolle: Selbst kleinste Fehler zuverlässig erkennen

KI in der QualitätskontrolleQuelle: Kistler Gruppe

Hersteller von Stanzteilen müssen hohe Anforderungen erfüllen und ihre Qualitätskontrolle ausbauen. Künstliche Intelligenz (KI) ermöglicht eine 100-Prozent-Qualitätskontrolle und macht diese gleichzeitig effizienter. Kombiniert wird KI mit leistungsfähigen optischen Prüfsystemen und Kennzeichnungsverfahren.

Die bisher vielfach praktizierte stichprobenhafte Überprüfung der Bauteile in der Stanzteilproduktion ist nicht nur aufwändig, sondern auch weit von einer lückenlosen Rückverfolgbarkeit entfernt. Doch es gibt bereits Lösungen wie KI in der Qualitätskontrolle, die die händischen Stichproben durch eine automatisierte 100-Prozent-Qualitätskontrolle ablösen und damit rückverfolgbare Qualität bis auf Bauteilstufe bieten. Für einen möglichst hohen Nutzen ist es essenziell, dass sich die entsprechenden Technologien – spezielle Beleuchtungs-, Bildaufnahme- und Kennzeichnungstechniken – in bereits vorhandene Maschinen und Anlagen integrieren lassen und gut mit der KI-basierten Anomalie-Detektion zusammenspielen.

Kleinste Anomalien werden mit „Shape from Shading“ erkannt

Das optische Prüfverfahren „Shape from Shading“ nutzt eine besondere Beleuchtungs- und Bildaufnahmetechnik. Da es die Texturinformationen eines Prüfteils von seinen topologischen Eigenschaften trennt, ermöglicht es die exakte Kontrolle einzelner Bauteile in der Stanzindustrie. Mit diesem Verfahren können auch kleinste Anomalien der einzelnen Bauteile sichtbar gemacht werden, die mit anderen Verfahren unentdeckt blieben.

Dazu wird das Prüfteil aus mehreren Richtungen beleuchtet und von einer Kamera aufgenommen. Auf den Bildern ist dadurch eine unterschiedliche Licht- und Schattenverteilung zu sehen. Aus diesen (realen) Einzelbildern berechnet die Software dann verschiedene topografische Bilder, die nur noch die 3D-Information der Prüfteiloberfläche wiedergeben. Dadurch ist die Prüfung mit KI in der Qualitätskontrolle unabhängig von Oberflächenveränderungen des Prüfteils wie Farb- oder Helligkeitsunterschieden, die sich im Texturbild deutlich darstellen und eine stabile Auswertung verhindern würden. Mit dem „Shape-from-Shading“-Verfahren und klassischen Bildverarbeitungsmethoden können selbst Kratzer, Risse oder Dellen, die nur wenige Mikrometer hoch oder tief sind, sicher detektiert werden.

Dank der speziellen LED-Beleuchtung funktioniert das Verfahren sowohl bei dunklen als auch bei glänzenden Oberflächen sehr stabil. Eine ausgeklügelte Algorithmik für die Bewegungskompensation erlaubt die Anwendung des Verfahrens auch für bewegte Objekte, was den Einsatz in der automatisierten Prüftechnik mit hohen Teiledurchsätzen ermöglicht.

KI in der Qualitätskontrolle
Bei mit „Shape from Shading“ erstellten Prüfbildern sind auch feine Fehler wie Kratzer oder Riefen stabil auswertbar. Bild: Kistler Gruppe

KI in der Qualitätskontrolle detektiert Anomalien auch bei komplexen Texturen

Bei der Überprüfung und Bewertung der aufgenommenen Bilder wird das KI-basierte Verfahren der Anomalie-Detek­tion angewendet: Dabei handelt es sich um eine spezielle Technik, die auf tiefen neuro­nalen Netzen (Deep Neural Network; DNN) basiert. Konkret kommen sogenannte Convolutional Autoencoder in Kombination mit einer Differenzbildgenerierung zum Einsatz, um ungewöhnliche oder unerwartete Abweichungen in Bildern von Prüfteilen sichtbar zu machen. Diese Art der Anomalie-Detektion spielt ihre Stärke genau dort aus, wo die klassische Bildverarbeitung an ihre Grenzen stößt oder zumindest einen hohen Grad an Expertise erfordert: bei der Fehlererkennung in komplexen Texturen. Neuronale Netze sind aufgrund der Variabilität bei den Gutteilen und den nicht immer mathematisch abbildbaren Entscheidungskriterien zwischen IO- und NIO-Bauteilen häufig die einzige Option.

Um die Anomalie-Detektion nutzen zu können, muss die Software zunächst angelernt werden: Das DNN wird zu Beginn mit Bildern von IO-Bauteilen gefüttert und „erlernt“ deren Eigenschaften sowie die Fähigkeit, diese möglichst exakt zu rekonstruieren. Anwendern steht hier eine große Datenmenge zur Verfügung, da sie eine enorme Anzahl an IO-Bauteilen produzieren. Vorausgesetzt, die Anomalie ist gut zu erkennen, kann man das neuronale Netz mit Farb- oder Monochrombildern ebenso trainieren wie etwa mit Tiefen- oder Krümmungsbildern.

Die Methode der Anomalie-Detektion macht sich die Tatsache zunutze, dass der trainierte Autoencoder keine abweichende Bildinhalte und Strukturen rekonstruieren kann. Folglich wird die Rekonstruktion eines Prüfteils mit einer Anomalie diese nicht mehr enthalten, sondern wie das dazu passende Gutteil aussehen. Es bedarf dann nur noch einer Differenzbildung zwischen Eingangsbild und Ausgangsbild, um die tatsächlichen Anomalien zu erhalten.

Diese können anschließend mit klassischen Bildverarbeitungsmethoden oder bei Bedarf mit einem weiteren neuronalen Netz klassifiziert werden. Ist eine solche Anomalie entdeckt, veranlasst die KI-Software eine entsprechende Aussortierung des Bauteils. Nach einigen Produktionsbatches können die Anwender die Software mit weiteren Bildern von IO-Bauteilen füttern, die eventuell andere Eigenschaften aufweisen als die Bauteile der ersten Runde. Damit verfeinern sie die KI weiter – und minimieren damit auch den Anteil des Pseudo-Ausschusses.

Kombi aus klassischen und KI-basierten Verfahren

Mit dem Einsatz von KI in der Qualitätskontrolle können Hersteller vor allem bei ungewöhnlichen oder nur sporadisch auftretenden Defekten große Fortschritte machen. Diese Defekte werden von den in klassischen regelbasierten Prüfverfahren im Vorhinein festgelegten Parametern oft nicht abgedeckt und Bauteile mit solchen Fehlern entsprechend nicht detektiert und nicht aussortiert. In Zukunft werden Hersteller daher aller Voraussicht nach eine Kombination aus klassischen regelbasierten und KI-basierten Verfahren einsetzen, denn das eine Verfahren kann das andere nicht ersetzen.

KI in der Qualitätskontrolle
Das Lasermarkierungssystem KLM 621 von Kistler kann bis zu 2.500 Teile pro Minute mit einer Beschriftung versehen. Bilder: Kistler Gruppe

KI in der Qualitätskontrolle: Lasermarkierung der einzelnen Bauteile und Dokumentation

Zentral für die effiziente Gestaltung der Qualitätssicherung und der dazugehörigen umfassenden Dokumentation ist die exakte
Beschriftung der einzelnen für korrekt befundenen Bauteile nach der Prüfung. So können Hersteller ihre Qualitätssicherung bis auf Bauteilebene umsetzen und umfassend dokumentieren. Da die Stanzindustrie Bauteile im Durchlauf markiert, also mit dem Verfahren „Marking on the fly“ arbeitet, muss das der optischen Überwachung nachgeschaltete Laser­system besondere Anforderungen im Bereich Markiergeschwindigkeit erfüllen.

Die in einer Kombination zur Qualitätssicherung von Kistler eingesetzte Beschriftungszelle Lasermark KLM 621 basiert beispielsweise auf aktuellen Faserlasern: Diese Zelle erfüllt die hohen Ansprüche der wirtschaftlich kurzen Markierzeit, geringstmöglichen Positionstoleranz des Markierfeldes sowie der optimalen Kontrastverhältnisse. Im Verfahren „Marking on the fly“ erreicht die Laserzelle eine Leistung von rund 2.500 Teilen pro Minute. Die reproduzierbare Positionsgenauigkeit von unter 0,01 Millimetern wird durch den hochpräzisen Kistler Triggersensor gewährleistet. Durch die lückenlose Beschriftung beziehungsweise Codierung aller produzierten Teile ermöglicht das Lasermarkierungssystem die effiziente, vollständige Rückverfolgbarkeit der Teile.

Dokumentation, Darstellung und Auswertung dank OPC UA Schnittstelle

Neben den Qualitätsanforderungen selbst sind auch die Ansprüche an Detailgenauig­keit und Vollständigkeit der Dokumenta­tion gestiegen: Eine umfassende und detaillierte Erfassung und Ablage der relevanten Daten für die produzierten und gekennzeichneten Teile ist auch für Hersteller in der Stanzindustrie Pflicht. Dabei ist eine Vernetzung aller relevanten Maschinen nicht nur die Grundlage für ein effizientes Datenmanagement und deren nachfolgende Analyse in der Prozessoptimierung, sondern auch die Basis für eine vollständige Rückverfolgbarkeit auf Bauteilebene.

Kistler hat deshalb eine auf UMATI (universal machine technology interface) basierende OPC-UA-Schnittstelle in alle Lösungen in der optischen Prüfautomation integriert. Die Vernetzung der Anlage mit den sie umgebenden Maschinen erleichtert die umfassende Prozessüberwachung zusätzlich: Das System hinterlegt die entsprechenden Dokumente der einzelnen Bauteile in einer Datenbank. So können Anwender ihre Qualitätsprüfung von einer Stichprobendatenbank hin zu einer vollständigen Prüfung und Nachverfolgbarkeit der hergestellten Bauteile weiterentwickeln. Je nach Anwendungsfall werden dabei sowohl Maschinendaten als auch Prüfergebnisse in Echtzeit dargestellt, analysiert und statistisch ausgewertet oder zur späteren Auswertung gespeichert. Anwender können so beispielsweise in Verbindung mit Analysesoftwaretools wie MaDaM und jBeam Qualitäts-, Produktions- und Messdaten ortsunabhängig jederzeit analysieren und an der richtigen Instanz abrufen. Gleichzeitig können sie die Daten zur weiteren Prozess­optimierung in der Produktion nutzen. Fehlerquellen und unnötige Wege sind damit eliminiert.

Dank der genauen Prüfung der einzelnen Bauteile, die durch den Einsatz von KI in der Qualitätskontrolle fortlaufend verbessert wird, und die durch die individuelle Beschriftung und Dokumentation gesicherte Rückverfolgbarkeit der produzierten Teile können Hersteller die an sie gestellten Anforderungen erfüllen: Sie können nicht nur die Qualitätsansprüche einhalten, sondern auch ihre Produktion effizient gestalten. Gleichzeitig gewährleisten sie eine individuelle Rückverfolgbarkeit der von ihnen produzierten Bauteile.

Die Autoren: Oliver Schnerr ist Head of Global Sales –Integrated Solutions bei der Kistler Gruppe. Stephan Bellem ist Head of Testautomation and Head of Engineering. Ferenc Bögner ist Head of Kistler Vision Systems.

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