03.08.2022 – Kategorie: Digitalisierung
Industrial Edge im Brownfield: Der Weg zur Smart Factory
Wie lassen sich bestehende Anlagen einfach, effizient und sicher in eine übergeordnete Architektur für die Datenauswertung integrieren? Dazu starteten die Schuler Pressen GmbH und Siemens Large Drives Applications ein wegweisendes Projekt: Gemeinsam haben sie ein Siemens-Presswerk mit Industrial Edge zur Smart Factory gemacht.
Industrial Edge in der Praxis: Die Idee zu diesem Projekt entstand so, wie man es eigentlich nur aus Filmen kennt: „Es war tatsächlich ein persönliches Treffen auf Management-Ebene, bei dem es um Strategien für die Digitalisierung ging – und am Ende stand die Aussage: Lass‘ uns da gemeinsam etwas machen!“, erinnert sich Tobias Grüner. Er leitet bei Siemens Large Drives Applications den Bereich Digitalisierung und Infrastruktur und ist unter anderem für eine der zentralen Produktionen für Großantriebe zuständig: das Siemens-Presswerk in der Vogelweiherstraße in Nürnberg. Hier sind gleich neun unterschiedliche Pressen der Schuler Pressen GmbH im Einsatz – und diese Pressen wurden mit Industrial Edge und den Digitalisierungslösungen von Schuler ausgerüstet.
Digitalisierung in bestehenden Anlagen mit Industrial Edge „in a Box”
Mit diesem Projekt zeigen Schuler und Siemens, dass sich die Vorteile der Digitalisierung nicht nur für neue Anlagen und Standorte nutzen lassen – ganz im Gegenteil. Mit Edge Computing können auch bestehende Produktionssysteme und Maschinen einfach an die Unternehmens-IT oder an Cloud-Lösungen angebunden werden. Umgekehrt ermöglichen es Lösungen wie Industrial Edge von Siemens, moderne Methoden der Datenerfassung und -analyse – bis hin zu künstlicher Intelligenz – direkt vor Ort an der Maschine zu nutzen. Industrial Edge stellt dafür eine offene, einsatzfertige Edge-Computing-Plattform aus Edge-Geräten, Edge-Apps, Edge-Konnektivität und einer Applikations- und Geräte-Management-Infrastruktur zur Verfügung. Die Daten werden direkt vor Ort im Edge-Gerät verarbeitet, sodass sich Industrial Edge auch in Umgebungen einsetzen lässt, wo die verfügbare Bandbreite begrenzt oder eine kontinuierliche Netzwerkverbindung nicht möglich ist. Gleichzeitig lassen sich die Daten je nach Anforderung auch an übergeordnete Systeme kommunizieren. Der Anwender behält dabei jederzeit die volle Kontrolle über die Daten – und kann dennoch die Vorteile und Möglichkeiten von Cloud-Computing nutzen.
Basis ist ein digitales Portfolio
Die Lösung, die Schuler und Siemens dazu implementierten, beruhte auf einem digitalen Portfolio, mit dem Schuler seine Anwender schon seit einiger Zeit bei der Optimierung ihrer Prozesse unterstützte, erklärt Michael Weiher, Projektmanager im Bereich Digital Solutions bei Schuler Pressen: „In unseren Cloud Solutions gibt es bereits Applikationen wie den Production Monitor oder den Press Force Monitor, die wir über Industrial Edge auf unsere Pressen aufspielen. Damit können wir unseren Anwendern Informationen über den Produktionsstatus und den aktuellen Zustand ihres Equipments liefern.“ Dennoch war das Projekt im Nürnberger Presswerk für ihn und seine Kollegen alles andere als alltäglich: „Der klassische Ansatz bei so einem Vorhaben ist, dass man zunächst mit einer Maschine beginnt, die Ergebnisse evaluiert und dann die weiteren Anlagen umrüstet. Hier haben wir gleich eine komplette Halle digitalisiert – das war sicher herausfordernd, aber so lassen sich gleich von Anfang an viel größere Mehrwerte erzielen.“
Einschaltfertige Lösung dank Industrial Edge
Damit sich diese Mehrwerte schnell zeigen, verpackt Schuler seine Industrial-Edge-Lösung in einem praktisch einschaltfertigen Paket. Die Systeme für die Industrial-Edge-Integration werden bei Schuler fertig aufgebaut – „sozusagen eine Art Edge-in-a-Box“, erklärt Michael Weiher. Die Box besteht aus einem Schaltschrank mit einem Simatic-Industrie-PC und den entsprechenden Schnittstellen, der bei Schuler fertig aufgebaut wird und dann beim Anwender nur noch installiert und angeschlossen werden muss. Die benötigten Applikationen spielt der Pressenhersteller von Göppingen aus auf das Edge Device auf und hält sie mit dem zentralen Industrial-Edge-Management immer auf dem aktuellen Stand. Das Edge Device liefert die Maschinendaten an das interne Siemens-Netzwerk, wo sie ausgewertet und analysiert werden – ein wichtiger Aspekt, denn die Hoheit über die eigenen Produktionsdaten war eine der zentralen Anforderungen, die Tobias Grüner und sein Team an die Lösung hatten.
Daten für eine neue Ebene Dialog und Service
Zusätzlich stellt Siemens ausgewählte Daten Schuler zur Verfügung. Diese freigegebenen Signale nutzte Schuler in seiner Cloud, um Tobias Grüner und sein Team bei der Optimierung der Pressen zu unterstützen, erklärt Dr. Stefanie Apprich, die bei Schuler den Bereich Cloud Services und die Schuler Digital Suite leitet: „Wir als Hersteller kennen unsere Pressen am besten, und der Anwender kennt seine Prozesse am besten. Und daraus können wir mit unseren digitalen Angeboten ganz neue Services entwickeln.“ Die Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Siemens würden Schuler dabei helfen, dieses Angebot weiterzuentwickeln, so Apprich weiter: „Wir haben in diesem Projekt aufgezeigt, wie wir aus unseren Pressen eine Smart Factory machen – und wie wir mit unseren digitalen Lösungen Anomalien erkennen, Ausfällen vorbeugen und die Produktivität verbessern können. Ich bin sicher, dass wir damit viele Anwender überzeugen.“
Der erste Anwender, der auf Anhieb vom Konzept überzeugt war, ist Tobias Grüner: „Wir haben hier am Standort ganz unterschiedliche Maschinen von Schuler, was den Prozess und was den Lebenszyklus angeht – ganz typisches Brownfield eben. Trotzdem können wir mit den Applikationen von Schuler und Industrial Edge diese große Bandbreite mit einer standardisierten Lösung abdecken.“ Mittlerweile sind alle Maschinen umgerüstet und Tobias Grüner und sein Team haben bereits erste wertvolle Erkenntnisse aus den Maschinendaten gewonnen: „Ein Thema, dass uns natürlich sehr beschäftigt, ist der Verschleiß bei unseren Maschinen und Werkzeugen. Dieser Verschleiß ist für die Bediener an der Maschine tatsächlich spürbar – so verändert sich zum Beispiel das Geräusch einer Presse, wenn das Werkzeug stumpf wird. Jetzt können wir das, was wir da spüren, messen – und zwar anhand des Presskraftverlaufs, den wir mit der Datenanalyse über Industrial Edge sichtbar machen – und erkennen so anhand der Daten, ob wir unseren Prozess gut fahren.“
Innovative Wege der Zusammenarbeit
Die Entwicklung der gemeinsamen Lösung geht weiter. So arbeitet Michael Weiher bereits an einer Fehleranalyse über Industrial Edge als erstem Add-on für das Presswerk – und weitere Ideen werden sicher folgen, ist sich Tobias Grüner sicher. Für Grüner und sein Team war das Projekt auch eine Möglichkeit, neue Arten der Zusammenarbeit zwischen Siemens als Anwender und Schuler als Technologiepartner umzusetzen: „Es gab keine konkreten Spezifikationen, welche Daten wie erfasst und ausgewertet werden sollen – all das hat sich im Laufe des Projektes agil entwickelt. Sowohl Schuler als auch uns war von Anfang an klar, was für ein Mehrwert sich hier schaffen lässt, auch wenn wir noch nicht genau beziffern können, wie groß er sein wird. Zusammen haben wir dann den Schritt gemacht, in die Umsetzung zu gehen, auf die Kompetenzen des Projektteams zu vertrauen. Das war sicher ein Stück Pionierarbeit, aber beide Seiten haben davon enorm profitiert.“
Der Autor Marc Fischer ist Marketing Manager Digital Industries Factory Automation bei Siemens.
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