09.02.2023 – Kategorie: Produktionsprozesse

Hochvorschubfräsen: Mit neuen Ideen zur Lagerbuchse

HochvorschubfräsenQuelle: Iscar

Um eine tiefe Nut in Lagerbuchsen einzubringen, musste sich die Heidelberger Druckmaschinen AG etwas Neues einfallen lassen: Auf einer Maschine mit weniger Drehmoment funktionierte die bisher genutzte Lösung nicht mehr.

Hochvorschubfräsen als Lösung? Das Unternehmen Heidelberger Druckmaschinen blickt auf eine 170-jährige Geschichte zurück. Wobei es gelernt hat, immer wieder neue Wege zu gehen. Heute stellt „Heidelberg“ mit seinen weltweit rund 10.500 Mitarbeitern neben den namensgebenden Druckmaschinen auch erfolgreich Wallboxen zum Laden von Elektroautos und gedruckte Elektronik für Sensoren her. Eine weitere Spezialität sind Produkte aus der Gießerei in Amstetten, die mit einer Kapazität von bis zu 85.000 Tonnen Guss eine der leistungsfähigsten in Europas ist. Dort fertigt das Unternehmen über 3.000 hochqualitative Bauteile mit einem Gewicht zwischen zehn Kilo und sechs Tonnen, zunehmend auch für externe Kunden.

Lagerbuchsen für Druckmaschinen

Neue Ideen waren auch bei der Fertigung von Lagerbuchsen für den Einsatz in Druckmaschinen am Standort Wiesloch-Walldorf gefragt: Die Komponente mit einen Durchmesser von 140 Millimetern besteht aus Grauguss (GG30), der gut zu bearbeiten ist und trotzdem eine hohe Verschleißfestigkeit aufweist. „Die Buchsen kommen bereits mit der Querbohrung aus unserer Gießerei in Amstetten“, erklärt Mathias Greulich, Werkzeugtechnologe am Standort Wiesloch-Walldorf. Mehr als 270 Lagerbuchsen-Paare fertigt Heidelberg pro Monat, und in jede einzelne muss eine etwa 80 Millimeter tiefe und 40 Millimeter breite Nut eingebracht werden. Bisher setzte das Unternehmen dafür einen Sonderscheibenfräser mit einem Durchmesser von 228 Millimetern auf einem leistungsstarken Bearbeitungszentrum ein. Die Lösung benötigte dafür nur vier Schnitte und etwa eine Minute.

Neue Anlage tickt anders

„Die Anlage steht nun aber leider nicht mehr zur Verfügung“, skizziert Greulich. „Wir versuchten mit dem Scheibenfräser und einer dynamischeren Anlage mit weniger Drehmoment weiterzuarbeiten.“ Das brachte aber kein zufriedenstellendes Ergebnis.

Thorsten Schulz, der als Vorplaner bei Heidelberg die Arbeitsabläufe festlegt, führt aus: „Die kleinere Maschine war absolut am Limit. Wir hatten so starke Vibrationen, dass sie sich sogar auf nebenstehende Anlagen auswirkten. Dazu kam ein erhöhter Verschleiß, vermehrte Plattenbrüche, Maschinenausfälle und eine immense Geräuschentwicklung.“ Schnelle Abhilfe schaffte eine Kombination aus einem schmaleren Scheibenfräser, geringerem Abtrag und zehn statt vier Schnitten. „Das half zwar, dauerte aber viel zu lange“, kommentiert Schulz. Zweieinhalb Minuten standen pro Bauteil auf der Uhr. Eine bessere Lösung musste her, und zwar möglichst schnell. Die Lagerbuchsen sind zentrale Komponenten einer Druckmaschine. Sie werden mit Exzenterbolzen an der Seitenwand montiert und dienen zur Zylinderverstellung. Der Spielraum, um neue Ideen auszuprobieren, war dementsprechend klein.

Greulich wandte sich an Iscar. Zwei Mitarbeiter des Technologiepartners setzten sich sofort mit den Verantwortlichen von Heidelberg, neben Werkzeugtechnologe Mathias Greulich, Vorplaner Thorsten Schulz auch Feinplaner Holger Hammer, an einen Tisch, um eine Lösung zu finden.

Mit dem bisher verwendeten 228-Millimeter Scheibenfräser (rechts) bringt Heidelberger Druckmaschinen nur noch den Radius am Grund der Nut ein. Bild: Iscar

Pendelndes Hochvorschubfräsen ist die Lösung

Bei einem Brainstorming klopfte das fünfköpfige Team mehrere Möglichkeiten ab. Dabei zeigte sich schnell: Das vertikale Hochvorschubfräsen mit einem pendelnden Fräser ist der richtige Weg. „Der Haken daran war nur, dass wir dafür unsere für die Horizontalbearbeitung ausgelegte Aufspannvorrichtung auseinandersägen und für die Vertikalbearbeitung umrüsten mussten“, erzählt Hammer. „Iscar fuhr erst einmal Vorversuche im Tech-Center in Ettlingen, um herauszufinden, ob der Prozess grundsätzlich möglich ist, bevor wir Hand an die Vorrichtung legen. Außerdem sollte so der richtigen Fräser und die passenden Parameter ermittelt werden.“

Das Ergebnis: Es geht – und zwar prozesssicher, schnell und wirtschaftlich mit dem Mill-4-Feed-Fräser. Dieser Hochvorschubfräser für die Bearbeitung aller Werkstoffe punktet beim Taschen-, Kontur-, Plan- und Drehfräsen. Er besitzt einseitige Wendeschneidplatten (WSP) mit vier Schneidkanten. Durch den positiven Spanwinkel ist das Werkzeug sehr weichschneidend. Der Krafteinfluss auf den Fräser erfolgt überwiegend in axialer Richtung. Damit ist ein schwingungsarmes Bearbeiten tiefer Kavitäten möglich. Die WSP sind in fünf unterschiedlichen Geometrien und Schneidstoffsorten für alle Werkstoffe ausgeführt. Sie ermöglichen eine Zustellung bis zu drei Millimeter und einen maximalen Vorschub von zwei Millimetern pro Zahn.

Bei diesem Projekt sollte der Fräser in einer Sonderausführung mit einem Durchmesser von 39 Millimetern zum Einsatz kommen. Dieser wird mit fünf vierschneidigen WSP in der mit TiAlN PVD-beschichteten Schneidstoffsorte IC810 bestückt.

Hochvorschubfräsen
Neuer Prozess: In einer vertikalen Pendelbewegung fertigt der Hochvorschubfräser die Nut in wenigen Sekunden. Bild: Iscar

Hochvorschubfräsen: Es kommt auf jeden Millimeter an

„Der Fräser trägt das Material in vertikalen Pendelbewegungen ab“, erklärt Hammer den neuen Prozess. „Nach jeder Bahn stellen wir 1,35 Millimeter zu. So fräst das Werkzeug die 80 Millimeter blitzschnell.“ Nur um den Radius am Grund einzubringen, kommt der Scheibenfräser doch wieder zum Einsatz. Greulich wirft ein: „Mit dieser Lösung bekamen wir den stabilen Fertigungsprozess, den wir für eine sichere Bearbeitung benötigen. Wir konnten nicht nur die Fertigungszeit je Buchse um 30 Prozent reduzieren, sondern auch die Werkzeugkosten um 55 Prozent senken. Der Verschleiß an der Maschine verringerte sich durch das Hochvorschubfräsen, die starken Vibrationen sind weg.“

Ein weiterer Vorteil: Der Werker an der Maschine kann die WSP bei diesem Fräser selbst tauschen, was die Rüstzeit deutlich senkt. „Das ging wegen der Komplexität beim großen Scheibenfräser gar nicht“, erklärt Vorplaner Schulz. „War ein Werkzeugwechsel notwendig, übernahm das die Werkzeugausgabe, denn die einzelnen Platten mussten genau eingestellt werden. Die Zeitersparnis ist enorm.“

Doch ganz ohne Schrecksekunde ging das Projekt nicht über die Bühne. Denn ursprünglich hatte das Werkzeug eine andere Trennstelle, die sich als nicht so stabil herausstellte, wie gedacht. Die Schraubverbindung des Fräsers löste sich durch die auftretende Wechselbelastung. „Iscar hat das Werkzeug modifiziert und mit einer Flexfit-Aufnahme ausgestattet“, erklärt Greulich. „Jetzt hält der Fräser bombenfest.“

Die Autoren: Matthias Müller, Beratung und Verkauf, sowie Andreas Heid, Technische Beratung und Vertrieb, beide bei Iscar.

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