Ein neues Kapitel in der Montage
Die diffizile Montage von Spiraltuben galt bis dato als nicht automatisierbar. Jetzt hat sich das italienische Systemhaus Elettrosystem der Sache angenommen und die weltweit erste Montageanlage mit vier Sechsachsrobotern für diese anspruchsvolle Aufgabenstellung realisiert. von Ralf Högel
Die diffizile Montage von Spiraltuben galt bis dato als nicht automatisierbar. Jetzt hat sich das italienische Systemhaus Elettrosystem der Sache angenommen und die weltweit erste Montageanlage mit vier Sechsachsrobotern für diese anspruchsvolle Aufgabenstellung realisiert. von Ralf Högel
Aus technischer Sicht richten sich an ein heute sehr wichtiges medizinische Hilfsmittel kontrovers anmutende Anforderungen: Es muss die zur Einführung in die Atemwege die nötige Steifigkeit aufbringen und darf sich unter keinen Umständen verengen. Gleichzeitig aber soll es sich möglichst flexibel der Anatomie des Menschen anpassen.
Die Intubation gilt heute als medizinische Standardmethode der Atemwegssicherung. Dazu kommt in der Anästhesie sowie in der Intensiv- und Rettungsmedizin eine spezielle Hohlsonde, der Tubus, zum Einsatz.
Um die erforderliche Biegesteifigkeit und Flexibilität zu garantieren, kommen beim führenden Medizintechnik-Hersteller Medtronic Vierschichtverbundschläuche mit einer integrierten Spirale aus dünnem Federstahl zum Einsatz. Doch exakt in diesem Verbund liegt die produktionstechnische Tücke: der schichtweise Aufbau der sogenannten Spiraltuben von innen nach außen. Die Qualitätsanforderungen und die schwierige Handhabung der beiden biegeschlaffen Komponenten PVC-Liner und Stahlfeder legen die Hürde für Automation hoch.
Bis dato nicht machbar
Die diffizile Montage der Feder auf dem Schlauchliner galt bis dato als nicht automatisierbar – ein produktionstechnischer Faktor, der einer benötigten Kapazitätserhöhung im Medtronic-Werk Dublin im Wege stand. Dort wurde diese Aufgabe bisher in Handarbeit ausgeführt.
Bisher wohlgemerkt, denn vor kurzem realisierten die Spezialisten von Elettrosystem eine vollautomatische Montagezelle, in der vier Stäubli-Roboter und jede Menge Linearsysteme das Unmögliche möglich machen. Konkret geht es bei der Automatisierung darum, eine feine Schraubenfeder aus Stahl auf ein PVC-Röhrchen aufzuziehen und das Bauteil mit Kleber zu ummanteln. Die besonderen Herausforderungen liegen in der definiert gleichmäßigen Verteilung der Federwindungen sowie in der Handhabung der beiden biegeschlaffen Komponenten.
„Wir sind weltweit die ersten, die diesen Prozess automatisiert haben“, kommentiert Elettrosystem-Entwicklungsingenieur Simone Puccio. „Zudem konnten wir die Anlage so flexibel auslegen, dass sie die Montage von sieben verschiedenen Varianten mit Schlauchdurchmessern von 5,0 bis 9,5 Millimetern sowie Schläuchen unterschiedlicher Länge und Flexibilität erlaubt. Die Variantenvielfalt ist erforderlich, um Patienten vom Kleinkind bis zum größten Erwachsenen mit einem geeigneten Tubus behandeln zu können.“
Die realisierte Automation
Die realisierte Automation für die Teilmontage von vier Spiraltuben gleichzeitig besteht aus zwei spiegelbildlich konzipierten Zellen, in denen jeweils ein Robotersystem RX160 und ein TX90 die flexible Handhabung übernehmen. Die komplizierte Montage der Feder erfolgt in einem integrierten Prozesskreislauf, der über Linearsysteme verkettet ist. Großer Vorteil der Stäubli-Roboter: Sie erfüllen bereits in Standardkonfiguration die Reinraumklasse ISO 5, so dass Elettrosystem nicht auf spezielle Cleanroom-Ausführungen zurückgreifen musste.
Bei einer Zykluszeit von rund 12 Sekunden errechnet sich eine Gesamtfertigungszeit von etwa drei Sekunden pro Schlauch. Dabei erlaubt die übergeordnete SPS auch die Bearbeitung unterschiedlicher Varianten in den Zwillingszellen. Zwei Bediener übernehmen die Überwachung sowie das Zu- und Abführen der Werkstücke.
Obgleich der große Stäubli Sechsachser RX160 auf den ersten Blick großzügig dimensioniert anmutet, gab es für seine Wahl gute Gründe: Der Roboter verfügt über eine beachtliche Reichweite von 1710 Millimetern und hat genügend Tragkraft für das komplexe Vierfachgreifersystem. „Dabei haben uns weniger die Gewichte, als vielmehr die auftretenden Momente des weit ausladenden Greifers Sorge bereitet“, erklärt Puccio. „Sie gehen zu Lasten der Roboterachse. Um langfristig die Beanspruchung des Getriebes minimal zu halten, fiel die Wahl auf den kräftigen RX160. Mit einer nominalen Tragkraft von 34 kg und den spielfreien Stäubli-Getrieben können wir auf eine dauerhafte Leistung des Roboters vertrauen.“
Ein Greifer für alle
Beim eingesetzten Greifer handelt es sich um eine von Elettrosystem in enger Abstimmung mit dem Kunden entwickelte Lösung. Der zweigeteilte, pneumatische Doppelgreifer ermöglicht zeitgleich die Handhabung zweier unbearbeiteter und zweier bereits federummantelter Schläuche. Zudem lassen sich die Abstände der Greiferzangen über ein Schienensystem variieren und somit an verschiedene Dimensionen der Werkstückvarianten anpassen. Die Umrüstung auf eine der sieben Tubusvarianten ist deshalb alles in allem in rund 15 Minuten erledigt.
Mit diesem einen Universalgreifer erledigt der große RX160 hochpräzise die komplette Handhabung: das paarweise Greifen der PVC-Liner und deren Aufschieben auf Trägerstäbe, das Zuführen an eine ‚Anspitzstation‘ sowie an die Übergabestation zum Prozesskreis Federmontage, das Abholen der fertig mit Federn ummantelten PVC-Schläuche, das Zuführen zur Kleberauftragsstation, die optische Qualitätsüberprüfung und letztlich das vertikale Ablegen in der Trocknerstation. Alles Weitere, sprich das Ablängen und die finale Qualitätsprüfung, übernimmt im Anschluss der kleinere TX90.
900 Schläuche die Stunde
Auf diese Weise können in der Doppelzelle rund 900 Intubierschläuche pro Stunde mit Federn und Kleber versehen werden. Die Endmontage der nunmehr stabileren Verbund-Bauteile erledigen Folgestationen vollautomatisch. Durch den Einsatz der weltweit ersten Roboterzelle für diese Aufgabenstellung schlägt das irische Werk von Medtronic ein neues Kapitel bei der Herstellung dieses lebenswichtigen Produktes auf. Dabei freuen sich die Verantwortlichen nicht nur über eine deutliche Steigerung der Gesamtkapazität, sondern auch über einen Zugewinn an Flexibilität und Prozesssicherheit. jbi
Autor: Ralf Högel ist Journalist für Industriethemen in Stadtbergen.
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