24.11.2021 – Kategorie: Fertigungs-IT
Digitalisierung in der Fertigung: Hier drückt der Schuh
Wir haben mit Dominik Metzger von SAP, darüber gesprochen, was die Fertigungsunternehmen bewegt und wie auch Mittelständler bei der Digitalisierung „mitkommen“.
Herr Metzger, wo drückt es der fertigenden Industrie, bei der Digitalisierung in der Fertigung, am meisten?
Dominik Metzger: Pauschal kann man das nicht sagen. Wir betreuen im Bereich Manufacturing – also dem herstellenden Gewerbe – mehrere Branchen mit unterschiedlichen Anforderungen. Da sind zum einen die diskreten Hersteller wie die Maschinenbauer sowie Automobilhersteller und zum anderen die Konsumgüterlieferanten; dann die Prozessindustrie, die sich in Pharma-, Chemie- und Konsumgüter aufteilt. Denken Sie an die Automobilindustrie, die mit den Trends wie autonomen Fahren, Nachhaltigkeit und E-Mobility besonders vom Wandel betroffen ist. Im Maschinenbau hingegen stehen eher Aspekte der Individualisierung von Anlagen aber auch der zunehmenden Fokussierung auf Serviceangebote im Vordergrund.
Worunter alle Branchen gemeinsam leiden, sind makroökonomische Trends wie unberechenbare Handelsbarrieren oder natürlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Beispielsweise sind Lieferantennetzwerke, die sich herstellende Unternehmen mühsam aufgebaut haben, wegen neuen Regeln und Vorkommnissen, wie beispielsweise dem Lieferkettengesetz heute nicht mehr die bevorzugten. Zudem nimmt der Wettbewerb in den internationalisierten Märkten für das herstellende Gewerbe stark zu. Hinzu kommt der Nachhaltigkeitstrend. Dieser spielt neben Umsatz, Kosten und Marge heute in Produktions- und Produktdesignentscheidungen eine wachsende Rolle.
Digitalisierung in der Fertigung: So gelingt die Optimierung
Ich warte privat schon seit Monaten auf ein neues Keyboard – ein Chip aus Asien fehlt. Sollen wir jetzt ganz viele Chips auf Lager legen oder die kompletten Lieferketten umbauen?
Metzger: Den Industrie-Unternehmen geht es da gerade nicht anders. Die Pandemie legt die Schwächen in den verzweigten Lieferketten schonungslos offen. Die Ziele lauten jedoch nicht, komplette Lieferketten ad hoc umzustellen oder immense Lagerbestände aufzubauen. Das Stichwort ist vielmehr „Resilienz“. Bei kritischen Bauteilen wie Elektronik-Chips gilt es den perfekten Mittelweg zwischen Kapitalbindung und hohem Service Level im Lager zu finden. Genau hier setzen wir mit unseren Planungslösungen für eine Digitalisierung in der Fertigung an.
Die Optimierung erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmern der Lieferkette über Business Netzwerke, wie zum Beispiel mit dem Chiphersteller und anderen Lieferanten, damit die Planer schon bei abzeichnenden Problemen frühzeitig einschreiten können. Dabei ist es von besonderer Bedeutung die synchronisierte Planung zu ermöglichen. Das heißt, von der strategischen bis hin zur eigenen Produktionsplanung sollten Prozesse tief integriert sein um frühzeitig reagieren zu können, wenn beispielsweise bei einem Maschinenbauer ein Nachfragetief aufzieht. Das kann in der strategischen Planung erkannt werden, muss aber auch im operativen Geschäft umgesetzt werden, beispielsweise in der Schichtplanung, bis hin zu Kurzarbeit in individuellen Werken. Dieser „Resilienz“-Ansatz geht also weit über die Planung von Lagerbeständen hinaus, sondern ermöglicht eine Topf-Floor- bis zur Shop-Floor-Planung.
Kann hier auch Industrie 4.0 helfen und wie kann sich das auch der Mittelstand leisten?
Metzger: Meine Beobachtung ist, dass Industrie-4.0-Projekte heute in der Regel direkt auf den Wertetreiber Produktivität abzielen. Der Return-on-Invest ist allen Akteuren sehr wichtig. Also kann Industrie 4.0 auch helfen, Lieferketten regionaler zu gestalten. Bei den Projekten steht auch der Umsatz häufiger direkt im Mittelpunkt. Statt klassischem Vertrieb rücken Pay-per-Use-Modelle in den Fokus. Ich verkaufe als Maschinenbauer dabei die Produktivität und den Output der Anlage, aber nicht mehr die Anlage selbst. Damit rückt auch der Service stärker in die Betrachtung.
Ein kleiner Maschinenhersteller sollte jedoch genau hinschauen, was er stemmen kann und was sich für ihn lohnt. Seltener werden das komplett neue Werkshallen und Maschinen auf der grünen Wiese sein. Besonders kleinere Maschinenbauer tun gut daran – wo es geht – in weitere Automatisierung und neue, effizientere Anlagen und intelligente Software zu investieren, der Return on Invest ist hier inzwischen sehr klar erprobt. Unser Fokus liegt dabei auf einfacher Interoperabilität zwischen Automatisierungstechnik mit unserer Software, so dass sich die Investition in Maschinen, Automation wie beispielsweise autonome Fahrzeuge wirklich lohnen kann. Ein Tipp ist, nicht nur die reinen Fertigungsprozesse und die Digitalisierung in der Fertigung zu betrachten. Vielmehr haben einige Unternehmen gezeigt, dass sie mit geringen Investitionen große Potenziale in der Intralogistik freisetzen können.
Auch wir haben Lösungen für die sogenannte Fabrik-Konnektivität im Portfolio, die sich modular nutzen lassen. Sie müssen dazu kein SAP als ERP laufen haben. Wir bieten mit der Digital-Manufacturing-Cloud eine Manufacturing-Operations-Plattform an, mit der Sie die Performance optimieren und Intralogistik-Herausforderungen angehen können. Auch die Nutzung künstlicher Intelligenz auf Basis von IoT-Daten, bedeutet der Nutzung von Maschinen- und Sensordaten zur Optimierung von Geschäftsprozessen tragen hier einen signifikanten Mehrwert bei.
Die Vernetzung mit Anlagen kann durch Standards wie OPC-UA, oder der Verwaltungsschale einfach und günstig sein und zudem gibt es SAP-Partner, die in der Praxis bereits unzählige Kommunikationsprotokolle genutzt haben, um auch große Brownfield-Anlagen anzubinden. Selbst neue Maschinen und Automatisierungstechnologien bleiben weit hinter den Möglichkeiten der Digitalisierung in der Fertigung zurück, wenn ein Systembruch von der Anlagen- in die systemgesteuerte Prozesswelt existiert.
Das Zusammenspiel von Technologie und Software
In der Intralogistik steckt auch Potenzial. Gemeinkostensenkung kann ja auch zur Standortsicherung beitragen. Was braucht man dazu?
Metzger: Ich brauche auf der einen Seite Technologie, beispielsweise in Form von passenden AGV und auf der anderen Seite Software. Maschinendaten, Materialabrufe, Lagersystem-Daten, also die Information, wann ich welche Teile benötige – all diese Daten müssen verlässlich vorliegen und ich muss mit ihnen umgehen können. Denken Sie an Kanban – ein klassisches manuelles Verfahren auf Basis von Belegkarten – der Werker holt bei Bedarf mit einem kleinen Wagen selbst Nachschub für die C-Teile aus dem Zentrallager. Ich kann dies auch komplett automatisieren und das Lagersystem tiefer in das Auftrags-Management integrieren. Ich detektiere mit einfachen IoT-Sensoren, etwa über das Gewicht, dass das Regal fast leer ist und orchestriere per Leitstand den AGV-Abruf. Das MES gibt ein Signal an das Lager, um den Ersatzauftrag bereitzustellen. Der Mitarbeiter sieht nur, dass das AGV kommt und das Regal auffüllt.
Wo sehen Sie noch Potenzial für Optimierungen hinsichtlich der Digitalisierung in der Fertigung?
Metzger: Wir agieren nicht rein auf der Produktionsebene, um die Produktion zu optimieren.
Alle Prozesse unter einem Hut für eine gelungene Digitalisierung in der Fertigung
Wie meinen Sie das? Zielen Sie auf Integrationen?
Metzger: Ja, wir wollen beispielsweise die Engineering- und Design-Ebene enger mit der Produktionswelt verzahnen. Denn an dieser „Schnittstelle“ gibt es ebenfalls viel ungenutztes Potential. Hier arbeiten wir mit Siemens an der Integration von Teamcenter in unser S/4HANA-System. Damit schlagen einige Anwender aktuell die Brücke zwischen den Ingenieuren in der Konstruktion und den Fachleuten in der von SAP gesteuerten Herstellung. Ein weiterer Aspekt, der eng mit der Effizienz der Gesamtanlage verflechtet ist, ist die Wartung. Mit Künstlicher Intelligenz in unseren Asset-Performance-Management-Lösungen wollen wir Ausfälle verhindern. Dazu brauchen wir aber die Anlagen- und Maschinenbauer mit ihrem Know-how als Partner.
Unser Ziel ist, dass die Betreiber ihre eigene Wartungsintelligenz integrieren, um tatsächlich prädiktive Wartungszenarien zu ermöglichen und damit die Anlageneffizienz wirklich zu steigern. „Integration“ ist generell ein wichtiges Stichwort bei der Optimierung im Unternehmens- und Produktions-Kontext und „Ende-zu-Ende-Prozesse“. Die Experimentierphase bei Industrie 4.0 ist vorbei, jetzt geht es um die Umsetzung im Engineering, der Intralogistik, der Wartung und natürlich der Produktion – wobei alles integriert zu sehen ist – Ende-zu-Ende eben.
Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Metzger!
Die Fragen stellte Jan Bihn, Redakteur Digital Manufacturing.
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