27.06.2018 – Kategorie: IT

Digitalisierung im Mittelstand: „Nichts als Bahnhof?!“

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Die abstrakte Abgehobenheit, mit der das Thema Digitalisierung verhandelt wird, und die fehlende Sensibilität, um vom Geschäftsmodell her zu denken, sind Hauptursachen für die Schwierigkeiten des Mittelstands mit der Digitalisierung. Wie sich das Dilemma lösen lässt. › Ein Meinungsbeitrag von Raimund Schlotmann

Die abstrakte Abgehobenheit, mit der das Thema Digitalisierung verhandelt wird, und die fehlende Sensibilität, um vom Geschäftsmodell her zu denken, sind Hauptursachen für die Schwierigkeiten des Mittelstands mit der Digitalisierung. Wie sich das Dilemma lösen lässt. › Ein Meinungsbeitrag von Raimund Schlotmann

Hängt der deutsche Mittelstand beim Thema Digitalisierung international weit zurück und ist insgesamt viel zu langsam bei der Veränderung? Dazu gibt es so viele Meinungen wie Studien am Markt. Als Softwarehersteller von Plattform-Lösungen für die Digitalisierung des Mittelstandes im Bereich Product- und Document-Lifecycle-Management stellen wir (Procad) in Gesprächen mit mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauern in der Tat oft fest: Der Unterschied zwischen digitaler Consumer- und Unternehmenswelt wird immer größer. Zuhause werden die Virtual-Reality-Brillen getestet, im Betrieb wartet der Instandhalter seine Anlage noch per Papierskizze.

Internet of Things, Big Data und Cloud Computing – wer bei diesen Buzzwords der Digitalisierung – ohne die die disruptive Innovation offensichtlich nicht auskommt – zunächst nur Bahnhof versteht, ist in guter Gesellschaft. Allzu viele „Experten“ verhandeln die Begriffe in ihren Vorträgen in einer abstrakten Abgehobenheit, die es dem Mittelständler schwermacht zu verstehen. Mit seinen Fragen: „Wie kann ich dies in meine betriebliche Praxis transferieren?“ und „Wie soll ich konkret starten?“, bleibt der Firmenlenker meist unbefriedigt zurück. Denn allzu konkret sind die Informationen dann doch nicht heruntergebrochen. Schließlich geht es um „das große Ganze“.

Raimund Schlotmann ist Geschäftsführer von Procad. In seinem Buch „Digitalisierung auf mittelständisch“ gibt er eine praxisnahe Hilfestellung für die Digitalisierung im Maschinenbau, Anlagenbau und anderen mittelständisch geprägten Branchen. Bild: Procad

Eine der klassischen deutschen Sekundärtugenden, die Gründlichkeit, kommt dem Mittelstand beim Thema Digitalisierung besonders in die Quere: Der Ingenieur möchte erst einmal genau durchdringen, wie das mit Hosting, der Cloud und dem Internet-of-Things genau funktioniert. Erst dann kommt die Überlegung, wie daraus ein Geschäft oder Produkt zu kreieren wäre.

Dieses Vorgehen gehört vom Kopf auf die Füße gestellt: Erst das Geschäftsmodell ersinnen und sich dann Gedanken zur Technologie machen – denn diese steht heute zur Verfügung und kann auch im Nachhinein durchdrungen werden. Die Technologien sind zudem austauschbar geworden und stehen beispielsweise in der Cloud kostengünstig und in beliebigem Umfang zur Verfügung. Daraus folgt der Schluss: Digitalisierung im Maschinen- und Anlagenbau sowie anderen Industriezweigen ist nichts, von dem man nur Bahnhof verstehen muss.

Doch was ist zu tun?

Um zum Geschäftsmodell zu kommen, hilft die Eingangsfrage danach, welche mögliche oder gewünschte Wirkung ein Produkt erzielen soll. Bislang betrachteten Unternehmen Produktwirkung vornehmlich aus Sicht ihrer derzeitigen Stärken, also ihrer über Jahre und Jahrzehnte entwickelten Kerntechnologien. Aktuell geht es jedoch darum, durch neue global verfügbare technologische Möglichkeiten die Value-Propositions-Anteile verschieben. Also den Nutzen der Produkte über das bisherige Maß zu steigern. Das heißt auch: Produkte differenzieren sich nicht mehr rein über Kerntechnologie in Hardware und Elektronik, sondern in immer stärkerem Maße über Software und Services. Technische Bestandteile sind in dieser Welt zu Teilen Commodity, also Handelsware, die zugekauft werden kann.

Dies impliziert eine neue Grundhaltung: Die grundlegende Frage des Handelns ist nicht mehr die nach dem „Wie“ (beste Technologie gewinnt), sondern die nach dem „Warum“ und dem „Was“. Welchen Nutzen erfährt der Kunde durch die neuen Technologien und wie kann er damit Geld verdienen? Die Antwort lässt sich finden durch ein „Digitales Wirkungsmanagement“. Dieses setzt auf der Ebene des Geschäftsmodells an, dekliniert die Notwendigkeiten der Zusammenarbeit im Unternehmen hinunter bis auf die Technikebene und untersucht die Abhängigkeiten der Bereiche, die wichtig sind für das Erreichen der übergeordneten Ziel-Value-Proposition und des Geschäftsmodells.

Grundlage des Digitalen Wirkungsmanagements sind Methoden des Systems Engineering. Dieses wird jedoch nicht vollständig über ein Top-down-Modell für Steuerung und Kontrolle verwendet – sondern führend über die für das Geschäftsmodell wesentlichen Abhängigkeiten der Disziplinen Mechanik, Elektrik, Elektronik und Software. So ordnen sich die Buzzwords der Digitalisierung auf einmal einem übergeordneten Ziel – der Wirkung – unter und werden damit gleichsam entmystifiziert. ‹


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