21.10.2021 – Kategorie: Allgemein, Unternehmen & Events
Digitales Lernen in der Produktion: Fort- und Weiterbildung im Umbruch
Nicht erst seit Corona hat digitales Lernen Aufwind. Wie gerade eine neue Lernkultur entsteht und wie auch Produktionsbetriebe sich darauf einstellen können, zeigt dieser Bericht.
Digitales Lernen war bisher eher eine Randerscheinung. Mit der Pandemie haben viele Institutionen wie Schulen und Universitäten teils voll auf diese Form umsteigen müssen. Aber gerade auch Industrieunternehmen haben gemerkt, wie es ist, wenn man sich nicht live treffen kann, um sich über Neuerungen auszutauschen, bestehenden Mitarbeitern notwendige Skills zu vermitteln und neue Mitarbeiter ins Team zu integrieren.
Autor: Aaron Overmeyer ist Mitbegründer und Geschäftsführer der digitalen Weiterbildungsplattform für die Industrie Ind.Academy.
Innovations- und Veränderungsfähigkeit bleiben die Erfolgskriterien einer zukunftsfähigen Industrie. Auch Produktionsunternehmen müssen künftige Entwicklungen antizipieren und frühzeitig ins Unternehmen tragen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Nur so lässt sich der Umbruch hin zur vielbeschworenen Industrie 4.0 mit smarten Fabriken, intelligenter Produktionstechnik und vollständig digitalisierten Prozessketten übergreifend umsetzen. Die wichtigste Ressource für den Wandel bleibt dabei der Mitarbeiter. Nicht nur Berufseinsteiger müssen sich mit neuen Technologien und Digitalthemen befassen, auch Berufserfahrene werden sich vermehrt Requalifizierungen stellen müssen, um in Branchen im Wandel weiter Verantwortung zu übernehmen. Wie aber kann eine zukunftsfähige Lern- und Weiterbildungskultur aussehen, die diesen Veränderungen Sorge trägt?
Wenn von Umbruch in der Industrie die Rede ist, meint das zunächst eine Verschiebung vom klassischen Maschinenbau zur IT-bezogenen Arbeit. So einfach diese Definition ist, so komplex sind ihre Folgen. Jahrzehntelang bestehende Arbeitsweisen durchlaufen Metamorphosen, die in die Entstehung völlig neuer Berufsbilder und Geschäftsmodelle münden. Neue Fähigkeiten sind dabei für deutsche Industrieunternehmen essenziell, um sich auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Re-Skilling, also die Ausbildung für ein neues Aufgabenfeld, gilt als besonders kurzfristige und effektive Maßnahme, um Mitarbeiter und Unternehmen für die Auswirkungen technischer Veränderungen fit zu machen. Damit die Transformation für Arbeitnehmer und Unternehmen gelingt, muss die Personalentwicklung frühzeitig definieren, welche Fähigkeiten zukünftig den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens sichern, und beginnen Mitarbeiter in diese Richtung zu entwickeln. Um diese vorausschauende Schulungsmaßnahmen durchzuführen, um einem möglichen Mangel an technischen Qualifikationen im Betrieb entgegenzuwirken, gilt es zunächst die vielleicht wichtigste Frage zu klären – mit welchem Wissen, müssen Mitarbeiter ausgestattet sein?
Digitales Lernen im KMU: Welches Wissen benötigen die Mitarbeiter?
Natürlich lässt sich diese Frage leichter beantworten, wenn man die ersten digitale Schritte bereits beschritten hat, erste Produktionsprozesse umgebaut hat, kurz gesagt: Digitalisierung etwas geworden ist, das man als Unternehmen antizipiert. Das trifft bisher im besonderen Maße auf Industriekonzerne zu, die im Zuge des Konkurrenzdrucks ihre Effizienzbestrebungen und damit eben auch die Digitalisierungsambitionen hochschrauben mussten. Dass sich Personalabteilungen stark mit Weiterbildungsthematiken auseinandersetzen bzw. große Unternehmen sogar eigene Weiterbildungsabteilungen besitzen, ist Usus.
Auch KMUs werden sich stärker die Frage nach dem Wissensstand ihrer Mitarbeiter stellen müssen. Denn eines lässt sich allen Expertenmeinungen entnehmen, die meisten industriellen Berufsbilder werden einen wesentlich höheren IT-Anteil haben. Das führt zum Entstehen neuer Berufsbilder, die sich früher oder später auch in KMUs wiederfinden werden. Ein Beispiel hierfür ist der industrielle Datenanalyst, der Daten aufbereitet und analysiert, um Produkte und Produktionsverfahren zu verbessern. Generell werden IT-Systeme in verarbeitenden Betrieben immer komplexer. Die Systemlandschaften aus unterschiedlichen Maschinen und Produkten, die in Echtzeit miteinander verbunden sind, werden zukünftig von industriellen IT-Lösungsarchitekten und IoT-Spezialisten koordiniert werden müssen, die die Verantwortung für das gesamte Systemdesign übernehmen. Natürlich ist das kein Ad-hoc-Prozess, sondern einer, der sich an der technologischen Entwicklung im eigenen Unternehmen orientieren muss.
Ein Blick in die Automobilindustrie, die sich durch Transformation hin zur Elektromobilität in einem besonders starken Wandel befindet, zeigt den Dominoeffekt einer Branche. Kein Unternehmen agiert für sich allein, sondern muss auf die Veränderungen seiner Partner reagieren. Gerade für Zulieferer bedeutet der Umbruch der Automobilindustrie einen Bedarf an neuen Fähigkeiten. Neben neuen Jobs rund um das E-Auto, wo das Wissen um Batterietechnologie eine große Rolle einnimmt, entstehen auch innovative Stellenprofile durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder dem autonomen Fahren. Fach- und Führungskräfte müssen immer stärker im Bereich Fahrzeug-Gesamt-Elektronik aufgestellt sein, Software-Kenntnisse sowie den Umgang mit großen Datenmengen und datenbasierten Systemen beherrschen. Natürlich ist die Elektromobilität ein besonderer Fall. Das Tempo des industriellen Wandels mag für Betriebe in anderen Branchen noch langsamer sein. Unausweichlich jedoch ist, Programmierkenntnisse werden zukünftig im industriellen Umfeld noch relevanter. Neben spezifischen Anwendungen für industrielle Simulationen oder Programmen für die Datenanalyse, die Entwickler beherrschen sollten, kommt auch hier die Hardware-Komponente ins Spiel, wenn intelligente Geräte und Roboter programmiert werden müssen. Hier frühzeitig Mitarbeiter weiterzubilden, verhindert Personalmangel, z. B. durch das Abwandern der eigenen Spezialisten zu Konkurrenten, und macht Unternehmen anpassungsfähig an wirtschaftliche und technologische Neuerungen.
E-Learning oder Präsenz-Schulungen? Oder wie müsste die Frage lauten?
Nachdem bisher der Fokus auf dem Wissen und den Transformationsprozessen in der Industrie lag, muss zum Ausgangspunkt zurückgekehrt werden, den Vermittlungsmöglichkeiten dieses Wissens. Um Mitarbeiter schrittweise an neue Aufgaben und Fähigkeiten heranzuführen, setzen viele Unternehmen zunehmend auf selbstgesteuertes Lernen. Hierbei gewinnt digitales Lernen mit E-Learning-Formaten und Online-Kursen auch in der Industrie zunehmend an Bedeutung. Die digitalen Formate haben den Vorteil, dass Mitarbeiter besonders flexibel, zeit- und ortsunabhängig Lernen können. Zudem kann über die meist modular gestalteten Kurse direkt beim Wissensstand des jeweiligen Mitarbeiters angesetzt und ein besonders individuelles Curriculum erstellt werden. Zu den strategischen Vorteilen, jeder kann seinem Profil entsprechend geschult werden, kommen auch finanzielle, z. B. Kosten für das Mieten von Schulungsräumen. Wichtiger aber ist, IT-Medien eignen sich im besonderen Maße, um IT-Kompetenzen zu vermitteln.
Das gilt insbesondere, wenn es um Mitarbeiter geht, deren Umgang mit digitalen Technologien innerhalb des Unternehmens noch begrenzt ist und bei denen dementsprechend unklar ist, ob sie bereits Kompetenzen besitzen oder umgekehrt sogar Hemmungen bestehen. Gerade Hemmungen und Vorbehalte innerhalb der Belegschaft können über einen anwendungsgetriebenen Umgang mit IT abgebaut werden. Zugleich reicht dafür aber nicht das Medium an sich. Den größten Nutzen werden Unternehmen daraus ziehen, wenn sie zwischen IT-Anwenderwissen und IT-Fachwissen unterscheideen. Die Vermittlung von reinen Inhalten und Fachwissen ohne Gebrauchsperspektive ist nur für Mitarbeiter mit Vorwissen anzuraten und führt sonst zu wenig Lernerfolgen. Sinnvoll ist daher das „Blended Learning“ auf das bereits viele Unternehmen setzen. Dabei werden digitale und analoge Weiterbildung kombiniert, z. B. indem Grundlagenthemen in digitale Schulungen erarbeitet und das dort erlernte Wissen anschließend in einem Praxisworkshop vertieft wird. Präsenzschulungen und Onsite-Trainings müssen also Ihren wichtigen Stellenwert in den Weiterbildungsprogrammen behalten. Digitales Lernen und klassische Ansätze geben sich also in Zukunft die Klinke in die Hand.
Obwohl die Lern- und Weiterbildungskultur durch wachsende Diversität an Komplexität gewinnt, sollte das nicht verunsichern. Auch Lern-Anbieter legen großen Wert darauf, den Zugang und das Bildungsangebot übersichtlich zu gestalten. Digitale Lernplattformen bspw. verminderten den administrativen Aufwand bei Suche, Abrechnung und Buchung von Kursen, da Unternehmen über sie auf eine breite Auswahl an Kursen zu Soft und Hard Skills zugreifen können. Zugleich können Mitarbeiter so individuell wie noch nie gefördert werden z.B. über die Erstellung von individuellen Lernpfaden. Hierbei können Weiterbildungsbeauftragte und Führungskräfte selbst Lernziele definieren, alternativ empfehlen beispielsweise KI-basierte Logiken Mitarbeitern je nach persönlichem Wissensstand die passenden Module oder Kurse.
Die Rolle des Menschen im Produktionsprozess bleibt in Bewegung
Auch wenn industrieübergreifend ein klares Bild von Potential und Möglichkeiten einer stark digitalisierten Industrie 4.0 vorherrscht, so ist der Weg dorthin, vor allem für KMUs unterschiedlicher Branchen und an unterschiedlichen Positionen in der industriellen Wertschöpfungskette, nicht immer klar vorgezeichnet. Letztlich wird der Weg, den Branchen und Unternehmen einschlagen, die Anforderungen an Mitarbeiter und damit auch an Fort- und Weiterbildungsprogramme stark mitbestimmen. So stark die Effizienz der Produktion durch zunehmende Automatisierung im Vordergrund steht, so wichtig ist es, den Mensch auf seine neuen Rollen im Produktionsprozess vorzubereiten und sein bestehendes Wissen um die zukünftig benötigten Fähigkeiten zu erweitern. Flexibilität steht hier an erster Stelle – auf Seiten der Unternehmen, die statt komplexer, langwieriger Fortbildungsprozesse vermehrt auf schnelles, modulares Re-Skilling setzen müssen, aber auch auf Seiten der Mitarbeiter, von denen Offenheit für die Anforderungen einer sich verändernden Arbeitswelt gefragt ist. Hier spielt auch digitales Lernen künftig eine essentielle Rolle.
So entstehen neue Perspektiven für Mitarbeiter in sich stark verändernden Traditionsberufen und auch die Unternehmen profitieren davon, Wissensträger im Unternehmen zu halten. Denn: Der oft zitierte „War for Talent“ wird besonders in den Zukunftsberufen der Industrie 4.0 wohl besonders stark zutage treten – ein Mangel an qualifizierten Mitarbeitern ist schon heute abzusehen.
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