12.09.2019 – Kategorie: Fertigungs-IT
Digitaler Zwilling: Wie er die Fertigung sicherer machen kann
Was bringt der digitale Zwilling dem Fertigungsunternehmen? Der CAM-Hersteller Tebis gibt Antworten. Hier erstmals in Form eines Fachartikels. Von Dietmar Streicher
Der digitale Zwilling zählt zu den Trendbegriffen im Werkzeug- und Formenbau. Doch was bedeutet digitaler Zwilling in der Fertigung? Das Potenzial, das sich hinter diesem Konzept verbirgt, ist beachtlich: Die Produktentwicklung wird durch die Möglichkeiten, die das Arbeiten am virtuellen Modell bietet, ebenso nachhaltig beeinflusst wie der Herstellungsprozess selbst. Die Produktionsbranche steht hier vermutlich erst am Anfang eines größeren Paradigmenwechsels. Dabei bringen der digitale Zwilling und das Arbeiten am virtuellen Modell, einen deutlichen Schub in Richtung Automatisierung mit sich und stellt einen wesentlichen Bestandteil von Industrie 4.0 dar.
Stetiger Optimierungsdruck braucht neue Ideen
Für das hochkompetitive Marktumfeld des Werkzeug- und Formenbaus, in dem Herstellern und Fertigungsunternehmen stetig abverlangt wird, sich zu optimieren und ihre Effizienz zu steigern, hält der Einsatz der digitalen Zwillinge auch einen spezifischen betriebswirtschaftlich relevanten Mehrwert bereit. Sie stehen für eine sichere Fertigung. Sicher fertigen, heißt kollisionsfrei fertigen, denn Kollisionen sind teuer: Liefertermine verzögern sich, manchmal gefährden sie sogar Menschen. Schnell fertigen bedeutet, den Maschinenraum unter Berücksichtigung aller Komponenten mit idealen Verfahr- und Rückzugsbewegungen optimal zu nutzen.
Kerntechnologie des digitalen Zwillings: CNC-Simulator
Der Tebis CNC-Simulator bringt in diesem Zusammenhang Sicherheit und Geschwindigkeit in Einklang – und speist sich dabei aus einer Vielzahl an virtuellen Daten. In der CAM-Lösung von Tebis planen und programmieren die Anwender von Anfang an und durchgängig mit digitalen Zwillingen von allen Werkzeugen, Aggregaten, Maschinen und weiteren Komponenten.
Vor diesem Hintergrund definiert Tebis den digitalen Zwilling als die Abbildung sämtlicher tatsächlich vorhandener Fertigungsmittel und -prozesse in der Software. Die reale Fertigungssituation wird 1:1 in die virtuelle Welt aufgenommen.
Digitaler Zwilling ist Evolution, nicht Revolution
Bei aller Modernität der Begrifflichkeit ist das eigentliche Konzept, das hinter dem digitalen Zwilling steht, im CAM-Umfeld nicht neu: Tebis hatte bereits in der ersten Vollversion seiner Software Postprozessoren als Steuerungsabbild integriert. Auch die virtuelle Maschinenbibliothek zählt seit Langem zur Grundausstattung. Im Lauf der Zeit wurden die digitalen Zwillinge jedoch zunehmend detaillierter.
Im Bereich der Werkzeuge begann es mit der einfachen Frässchneide, es folgten die komponentenbasierten Fräs- und Bohrwerkzeuge und später 3D-Drehwerkzeuge (ebenfalls komponentenbasiert). Heute gibt es quasi kein Werkzeug, das in der Tebis-Werkzeugbibliothek nicht abbildbar wäre.
Digitaler Zwilling in der Praxis
Die von Tebis-Kunden eingesetzten digitalen Zwillinge in der Maschinenbibliothek etwa umfassen mit über 1.400 virtuellen Modellen in 3.700 Varianten alle marktüblichen Maschinentypen unterschiedlicher Hersteller mit ihren geometrischen und kinematischen Eigenschaften. Über 70 Prozent der Tebis-Bestandskunden nutzen derzeit aktiv virtuelle Maschinenmodelle in der Programmierung.
Seit Release 6 verfügt Tebis zudem über eine Aggregatebibliothek für Zusatzeinrichtungen wie Backenfutter, Lünetten und Spitzen sowie Maschinentische, Anbauten und Trennwände. Auch virtuelle Spannmittel sind heute Teil des CAD/CAM-Systems.
Mit digitalem Zwilling Fertigungsumgebungen komplett abbilden
Auf diese Weise übernimmt Tebis die reale Fertigungsumgebung vollständig in die virtuelle CAD/CAM-Welt und erfüllt damit die Voraussetzung für eine exakte Simulation. Um diese so exakt wie möglich durchzuführen, verfolgt Tebis einen weiteren speziellen Ansatz: Der Simulator ist vollständig in die CAD/CAM-Umgebung integriert. Simulation und Kollisionsprüfung lassen sich so noch vor dem Postprocessing zu jedem Zeitpunkt der NC-Programmierung durchführen. Es ist effizient, die Werkzeugwege in der CAM-Umgebung noch vor der NC-Ausgabe auf Kollision zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Vor allem ist diese Vorgehensweise besonders sicher und legt damit den Grundstein für die mannarme oder sogar mannlose Fertigung am Wochenende. Letztere funktioniert bekanntlich nur, wenn sichergestellt ist, dass alle Maschinen ohne
Unterbrechung durchlaufen.
Fertigungssteuerung mit MES als digitaler Zwilling der Fertigung
Die CAD/CAM-Software und der Simulator mögen noch so gut sein – wer seine Aufträge gemäß Industrie 4.0 voll digital und hochautomatisiert planen, abwickeln und steuern möchte, kommt um eine MES-Lösung (Manufacturing Execution System) nicht herum. Die MES-Software „ProLeiS“ (Proleis) ist fester Bestandteil bei Tebis und integriert auch andere Systeme.
In Proleis sind die Fertigungsumgebung und Fertigungswissen in Vorlagen sowie Erkenntnisse aus zurückliegenden Projekten hinterlegt.
Die Software greift zudem auf weitere relevante Daten wie Stücklisten, Verfügbarkeit von Ressourcen und die Fertigungsdauer zu. Sämtliche Auftragsabläufe inklusive Materiallogistik und Terminen lassen sich über das integrierte MES verwalten – und zwar nicht nur die des eigenen Unternehmens, sondern auch die von Lieferanten und Dienstleistern.
So bildet das MES alle fertigungsrelevanten Abläufe digital, quasi als digitaler Zwilling der Fertigung, ab und erlaubt eine effiziente Auftragssteuerung.
Zudem verknüpft die Software Daten von Maschinen, Lagerorte und Erfahrungswerte als Grundlage für eine vorausschauende Planung. Über die Maschinendatenerfassung entsteht ein digitaler Schatten. Das MES gleicht Reststandzeiten von Werkzeugen ab, sodass dem Maschinenbediener rechtzeitig eine notwendige Versorgung mit einem Ersatzwerkzeug angezeigt wird. Nach Bestätigung durch den Bediener wird automatisch ein Auftrag für den Einrichteplatz erzeugt.
Autor: Dietmar Streicher ist Produktmanager bei der Tebis AG.
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