26.01.2022 – Kategorie: Digitalisierung

Digitale Prozesskette im Werkzeugbau Schritt für Schritt umsetzen

Digitale ProzessketteQuelle: Wright Studio/shutterstock

Der Werkzeugbau befindet sich im Spannungsfeld zwischen Produktkonstruktion und Serienfertigung. Typischerweise haben Werkzeugbaubetriebe einen internen oder externen Marktzugang. Kennzeichnend für die Branche sind geringe Losgrößen und anspruchsvolle Qualitätsanforderungen, sodass eine hohe Leistungsfähigkeit die Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit darstellt.

Obwohl sich der Werkzeugbau in der Vergangenheit durch die eigene Innovationskraft vom globalen Markt differenzieren konnte, muss er sich heutzutage stärker durch die Effizienzsteigerung der eigenen Fertigung und der Senkung der Produktionskosten vom Markt abgrenzen. Neben den klassischen Hauptkostentreibern wie steigenden Lohnkosten wird in der Fertigung zunehmend eine effizient gestaltete, digitale Prozesskette wichtiger.

Digitale Prozesskette im Werkzeugbau – der Status quo

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT führte in Zusammenarbeit mit der WBA Werkzeugbau Akademie Aachen ein Konsortialprojekt zu digitalen Prozessketten im Werkzeugbau durch. Die im Projekt durchgeführten Workshops und ein Fragebogen unter den 15 teilnehmenden Werkzeugbauunternehmen dienen als Grundlage für die folgende Status quo Betrachtung.

Die digitale Prozesskette im Werkzeugbau beginnt bei der Konstruktion des Werkzeugs auf Basis der Produktgeometrie. In einem kontinuierlichen Zusammenspiel von CAD-System und Simulationssoftware wird das Werkzeug hinsichtlich konstruktiver Prozesseigenschaften optimiert. Die finalen CAD-Dateien des Werkzeugs werden anschließend der Arbeitsvorbereitung zur Verfügung gestellt. Auf Basis der benötigten Technologien und Maschinen zur Werkzeugherstellung werden Arbeitspläne abgeleitet und CAM-Programme für einzelne Werkstücke erstellt. Diese werden anschließend mittels Post-Prozessoren kompiliert, sodass eine NC-Bearbeitung der Werkstücke möglich ist. Abschließend findet eine Qualitätskontrolle mit taktilen und optischen Messmitteln statt, wobei die Messdaten idealerweise in die digitale Prozesskette einfließen.

Digitale Prozesskette
Die digitale Prozesskette mit vier Schritten im Werkzeugbau: Von der Konstruktion bis zur Qualitätssicherung.
Bild: WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH

Die hohe Komplexität der Werkzeuge in Kombination mit der hohen Variantenvielfalt und Losgröße 1 stellt die digitale Prozesskette vor große Herausforderungen. Am Markt existiert eine Vielzahl an unterschiedlichen Softwarelösungen mit stark divergierenden Funktionsumfängen und Spezialisierungen. Die Verwendung unterschiedlicher Systeme innerhalb der digitalen Prozesskette im Werkzeugbau führt oftmals zu internen und externen Schnittstellenproblemen, da keine nativen Dateiformate verwendet werden können. Auch in dem zu Grunde liegenden Konsortialprojekt zeigte sich der heterogene Systemeinsatz sowohl in der Konstruktion mit den CAD-Systemen als auch in der Arbeitsvorbereitung mit den CAM-Systemen.

Bei der CAM-Programmierung werden mehr Systeme benötigt

Der Fragebogen ergab, dass im Konsortium acht verschiedene CAD-Systeme eingesetzt werden, wobei knapp die Hälfte der Werkzeugbaubetriebe die Software Siemens NX einsetzt. In der CAM-Programmierung werden im Gegensatz zur CAD-Konstruktion signifikant mehr Systeme eingesetzt, was nicht zuletzt an der jeweiligen Spezialisierung verschiedener Systeme liegt. Teilweise verwenden Unternehmen auch mehrere CAM-Systeme, zum Beispiel für unterschiedliche Technologien. Die Softwaresysteme Siemens NX und Tebis weisen mit 35,7 Prozent dabei den höchsten zeitlichen Nutzungsanteil in der Arbeitsvorbereitung auf.

Hinsichtlich der Generierung des NC-Codes konnte festgestellt werden, dass die meisten Unternehmen eine Material-Abtragsimulation zu Verifikation der erzeugten NC-Bahnen einsetzen. Zudem wird eine vollständige Kollisionskontrolle inklusive der installierten Peripherie durchgeführt. Auffallend bei den Ergebnissen des Fragebogens war zudem, dass bei der Hälfte der Werkzeugbaubetriebe ein Systembruch in der digitalen Prozesskette vorliegt. Hierdurch sind unter anderem zusätzliche Arbeitsschritte in Form
von Dateikonvertierungen erforderlich. Dies ist ein prägnantes Beispiel dafür, dass die digitale Prozesskette im Werkzeugbau nicht optimal ist und Handlungsbedarf besteht.

Handlungsfelder für die digitale Prozesskette

Gemeinsam mit den 15 Werkzeugbaubetrieben konnten Handlungsfelder für die zukünftige digitale Prozesskette im Werkzeugbau abgeleitet werden, die im Folgenden erläutert werden:

Durchgängigkeit entlang der digitalen Prozesskette: Wie bereits im Status quo beschrieben, führen Systembrüche in der digitalen Prozesskette sowie die Verwendung verschiedener Dateiformate zu Problemen bei der Datenverarbeitung. Die derzeit verfügbaren Softwaresysteme weisen zwar Funktionen zur automatischen Überprüfung von Dateien verschiedener Dateiformate auf, jedoch erweisen sich diese Softwarelösungen aufgrund von erforderlichen manuellen Eingriffen in der Praxis als nicht praktikabel. Die Softwareanbieter sind daher aufgefordert die Leistungsfähigkeit der Analysefunktionen signifikant zu verbessern. Langfristig ist jedoch eine weitere Standardisierung der vorhandenen neutralen Dateiformate, wie STEP242 oder JT, anzustreben.

Integration von Product Manufacturing Information (PMI): Eine umfassende Nutzung von PMI scheitert derzeit vor allem daran, dass keine standardisierten Lösungen zur Definition und systemübergreifenden Weitergabe existieren. Die meisten Systeme bieten derzeit die Möglichkeit zur Definition und Nutzung von PMIs, wie die geometrische Bemaßung und Toleranzen. Für die volle Ausschöpfung des fertigungstechnologischen Potenzials von PMI im Werkzeugbau sind die Softwareanbieter aufgefordert, die PMI-Kompatibilität der neutralen Dateiformate signifikant zu verbessern. Des Weiteren ist zu prüfen, inwiefern PMIs für eine standardisierte Wissensrückführung prozessrelevanter Daten geeignet sind.

Erkennung bei Nicht-Regel-Geometrien: Derzeit ermöglichen die Lösungen der Softwareanbieter eine Identifizierung und Ableitung des NC-Programms von einfachen Regel-Geometrien, wie Bohrungen, Gewinde oder Taschen. Eine erweiterte Feature-Erkennung von komplexen 3D-Geometrien würde, so die Projektteilnehmer, einen großen Mehrwert darstellen. In Kombination mit umfangreicheren Funktionen, zum Beispiel einer automatisierten Radiusfreilegung, kann die Leistungsfähigkeit der digitalen Prozesskette somit signifikant verbessert werden.

Die Status-quo-Betrachtung der digitalen Prozesskette im Werkzeugbau zeigt, dass ein heterogener Systemeinsatz vorliegt und Systembrüche existieren. Die abgeleiteten Handlungsfelder zeigen Möglichkeiten zur Gestaltung einer effizienten und durchgängigen digitalen Prozesskette auf. Um diese zukünftig in den Werkzeugbaubetrieben zu etablieren, sind Softwareanbieter, Werkzeugbaubetriebe und Forschungseinrichtungen gleichermaßen aufgefordert, den Anforderungen entsprechend passende Lösungen zu entwickeln.sg

Die Autoren: Rainer Horstkotte, M.Sc. ist Geschäftsfeldleiter Werkzeugbau, Fraunhofer IPT; Dr.-Ing. Marcel Prümmer ist Gruppenleiter Technologieorganisation, Fraunhofer IPT; Dr.-Ing. Kristian ArnTZ ist Abteilungsleiter Technologieorganisation und -vernetzung, Fraunhofer IPT; Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Boos, MBA ist geschäfts­führender Gesellschafter der WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH.

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