03.11.2017 – Kategorie: Branchen, Fertigung

Die neue Volkswagen-Fabrik prüft in der Linie

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Das 2016 in Września, Polen, in Betrieb genommene Werk von Volkswagen Nutzfahrzeuge ist in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes: So ist es nicht nur in einer Rekordzeit von lediglich 23 Monaten fertig gestellt worden, es ist auch das modernste Werk in der gesamten VW-Familie. Das zeigt sich auch in der eingesetzten Messtechnik. von Syra Thiel

Das 2016 in Września, Polen, in Betrieb genommene Werk von Volkswagen Nutzfahrzeuge ist in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes: So ist es nicht nur in einer Rekordzeit von lediglich 23 Monaten fertig gestellt worden, es ist auch das modernste Werk in der gesamten VW-Familie. Das zeigt sich auch in der eingesetzten Messtechnik. von Syra Thiel

Automobilfabriken sind groß. Immer. Auch das neue VW-Werk in Września, 50 Kilometer von Posen entfernt, ist riesig. Die 2016 in Betrieb genommenen Hallen stehen auf einem 2.200.000 Quadratmeter großen Areal, was der Größe von etwa 300 FIFA-genormten Fußballfeldern entspricht. In Rekordzeit wurde es hochgezogen – mehr als ein halbes Jahr schneller, als die Planer veranschlagt hatten. Und das, obwohl VW Nutzfahrzeuge (VWN) zeitgleich auch den neuen Crafter entwickelte.

Insgesamt 800 Millionen Euro investierten die Wolfsburger am Ende in Września. Eine Investition, die sich natürlich schnell bezahlt machen soll. Dass sie das wird, davon ist auch Werner Steinert, Leiter der Abteilung mit dem kryptischen Kürzel „PWQ-3/1 QS-Analyse/Messwesen Września“, absolut überzeugt. Er prophezeit dem Standort „eine große Zukunft“.

Zu 100 Prozent kontrolliert

Ab 2018, wenn die Produktion auf Hochtouren laufen wird, sollen hier jährlich 100.000 Crafter und der baugleiche MAN TGE vom Band rollen – und damit doppelt so viele solcher Lieferwagen wie VWN bislang jährlich verkauft. Damit dann alle 3,5 Minuten ein einwandfreier Crafter das Werk verlassen kann, muss auch die eingesetzte Inline-Messtechnik den zeitlichen Vorgaben aus der Fertigung entsprechen. Neben der sehr hohen Grundgenauigkeit der eingesetzten AIMax-Sensoren von Carl Zeiss beeindruckte Steinert auch die Schnelligkeit des Systems. „Wir wollten die beste roboterbasierte 3D-Inline-Messtechnik am Markt“, begründet der seit 25 Jahren für VW arbeitende Manager heute seine 2015 getroffene Entscheidung für Zeiss. Nach den ersten Produktionswochen steht für Steinert fest, „das Inline-Konzept ist aufgegangen“.

Geprüft wird in Polen zu 100 Prozent. Das heißt, jedes Karosserieteil – vom Unterboden bis hin zu den Seitenteilen – durchläuft eine entsprechende Inline-Messstation. Beim Unterboden, der aufgrund der Modellvielfalt am stärksten variiert, werden zwischen 82 und 122 Merkmale gegen die festgelegten Toleranzvorgaben geprüft. Damit der gesamte Prüfprozess reibungslos läuft, übergibt ein RFID-Chip am Unterboden die notwendigen Informationen zur Auswahl des entsprechenden Messprogramms an die Inline-Station. Das heißt, ohne menschlichen Eingriff „weiß“ die Software bereits beim Auflegen des zu messenden Unterbodens, welches Unterprogramm zur Steuerung der vier Messroboter gestartet werden muss. In diesem ist genau definiert, welches Merkmal wann und wie mit den Sensoren geprüft wird.

Läuft das Messprogramm an, „erwachen“ alle vier Roboterarme gleichzeitig aus ihrer Ruheposition. Leise fiepend und wendig fahren sie in drei Minuten die bis zu acht Meter langen Karosserieteile ab. Zwischendurch führen sie die Sensoren zu einer der sechs in der Inline-Station fest montierten Säulen heran. An diesen sogenannten Artefakten befinden sich Kugeln, die die Sensoren regelmäßig aus drei Positionen messen. Mit den so erfassten Daten kalibriert sich das Messsystem immer wieder neu. Ein notwendiges Vorgehen, um die hohe Präzision des Messvorgangs zu gewährleisten. Denn die Wärme, die die Motoren der Roboterarme abgeben, würde ohne softwaremäßige Berücksichtigung die Genauigkeit des gesamten Systems negativ beeinflussen.

Ein System – drei Messverfahren

Damit auch schwer zu erreichende Merkmale an den Karosserieteilen perfekt geprüft werden können, werden Sechs-Achs-Roboter eingesetzt, die über einen großen Bewegungsradius verfügen. Und dank der kompakten Bauweise der AIMax-Sensoren, 155 Millimeter hoch, 134 Millimeter breit und 125 Millimeter lang, können sie geometrische Merkmale auch in engen und schwer zugänglichen Karosseriebereichen prüfen. „Das macht diese Sensoren für eine Inlineprüfung so interessant“, kommentiert Steinert. Auch die Kombination von drei Messprinzipien – der Mehrlinientriangulation, der Grauwertbildverarbeitung sowie eine Schattenauswertung – in einem Sensor sind für den Karosseriebau ein großer Pluspunkt. Denn so lassen sich mit dem System auch komplexe Geometriemerkmale wie spezielle Bohrungen, Löcher, Schraubengewinde, Schweißmuttern oder Spalt- und Bündigkeiten messen. „Schweißbolzen, und davon haben wir viele, können inline nur mit diesem System gemessen werden“, betont Steinert, der das System bereits aus einem VW-Werk in Russland kannte.

Die digitale Kameratechnik hoher Auflösung sowie eine flexible Beleuchtungssteuerung zur optimalen Szenenausleuchtung ermöglicht eine ideale Kontrastierung von Auswertfeatures. Beispielsweise werden auch Muttern, die hinter einem Blech liegen, bestens sichtbar. Dank der adaptiven Beleuchtung können zudem unterschiedlichste Werkstoffe gemessen werden, was für Steinert ebenfalls „ein großer Pluspunkt ist“. Dabei geht das alles blitzschnell. Die typische Messzeit inklusive Roboterbewegung beträgt 1,8 bis 3,0 Sekunden pro Messposition. „Dank dieser Schnelligkeit können wir viele Merkmale unserer Karosserieteile in der vorgegebenen Taktzeit prüfen. Das hilft uns enorm, unsere Prozesse zu optimieren.“

Prozesse im Blick

Die Mitarbeiter in der Qualität können sich bereits am Monitor jeder Station anzeigen lassen, bei welchen Merkmalen und zu welchem Grad der Toleranzbereich ausgenutzt wird. „Ab 75 Prozent Toleranzausnutzung schauen wir sehr genau hin“, so Steinert. Täglich oder auch nach jeder Schicht wird geprüft, wie sich die Werte entwickeln. Was auf jeden Fall vermieden werden soll, ist der Q-Stopp, das heißt ein Fertigungsstopp aufgrund überschrittener Toleranzen. Häufig hilft bei der Klärung von Toleranzabweichungen bereits, wenn sich die Ingenieure der Qualitätsabteilung die von der Kamera des Sensors aufgenommenen und auf Wunsch gespeicherten Bilder der jeweiligen Merkmale ansehen. So erkennen sie „ohne großen Aufwand, ob sich beispielsweise Klebstoff in den Bohrungen befindet“, erklärt Steinert.

„Wir schicken einfach das Foto an den verantwortlichen Mitarbeiter und dieser optimiert die Klebstoffzufuhr, was Nacharbeiten vermeidet“, erklärt Steinert. Doch nicht immer sitzt der Verantwortliche im eigenen Haus. Da alle Teile des Crafters zugeliefert werden, versteht sich der begeisterte VWler, auch als Prozessoptimierer bei seinen Lieferanten. Um dieser Funktion gerecht zu werden, hat der Messlaborchef einen zweiten Messraum eingerichtet. In diese Halle lädt Steinert regelmäßig Lieferanten ein und ringt mit ihnen um die Einhaltung der Qualitätsvorgaben – ganz nach seiner Maxime „Qualität ist alles“.

Noch demonstriert und erklärt er den Lieferanten anhand der physischen Teile, wo er Probleme sieht und wie sie sich beheben lassen. Noch. Zukünftig will er auf der in der Messhalle montierten 35 Quadratmeter großen Leinwand über einen hochauflösenden Stadionbeamer und ausgerüstet mit Datenbrillen seine Lieferanten in die 3D-Welt ihrer gefertigten Teile mitnehmen. „Da wir optisch messen, besitzen wir ein realitätsgetreues 3D-Modell von den Werkstücken. Das werden wir nutzen, um Fehler virtuell und damit viel eindrucksvoller darzustellen“, erklärt Steinert. Er ist überzeugt, dass dies „das Qualitätsbewusstsein aller Beteiligten nochmals steigern wird“.     jbi

Autor: Syra Thiel ist Fachjournalisten in Tübingen.


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