01.12.2021 – Kategorie: Automatisierung & Robotik

Automatischer Werkzeugwechsel: Weniger Aufwand durch Roboter-Wechseleinheit

Automatischer WerkzeugwechselQuelle: ST Engineering

Der Bedarf, ungenutzte Passagierflugzeuge zu Frachtflugzeugen umzubauen, steigt. Ein Flugzeugumbau ist jedoch technisch komplex. Die Unternehmen ST Engineering Aerospace und Helios Applied Systems konnten die aufwändigen Prozesse mit Unterstützung einer Roboterzelle automatisieren. Einen wichtigen Anteil daran hat eine Motorspindel der Zimmer Group

Automatischer Werkzeugwechsel: Die Corona-Pandemie hat weltweit Lieferketten gestört und Produk­tionsbänder lahmgelegt. Seit über einem Jahr ist die Wirtschaft im Ausnahmezustand. Besonders hart hat es dabei die Luftfahrtindustrie getroffen. Der Luftverkehr wird aufgrund der Corona-­Krise global in einem bislang beispiel­losen Ausmaß beeinträchtigt: Tausende Flüge wurden storniert, teilweise werden komplette Flugzeugflotten geparkt und eingemottet.

Mehr Nachfrage im Luftverkehr?

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie treffen neben dem Passagierverkehr auch die Luftfracht (einschließlich Luftpost), denn eigentlich transportieren Passagierflugzeuge einen großen Teil (zirka 50 Prozent) der Luftfracht. Profiteure der aktuellen Krise sind Fracht-Airlines/Mixed Carriers (Frachter und PAX-Maschinen) sowie Charter-­Airlines, die in diesen Zeiten sehr wahrscheinlich auf Rekordergebnisse zurückblicken können. Angetrieben durch den Luftfracht-Boom und das Wachstum des Online-Handels steigt so der Bedarf, ungenutzte Passagierflugzeuge zu Frachtflugzeugen umzubauen. Dies beschreibt der Begriff „Passenger to freighter“ (P2F). Basierend auf dem aktuellen Markt, erwarten Analysten eine wachsende Nachfrage in diesem Bereich. Neben Flugzeugherstellern profitieren auch Wartungsbetriebe, Fluggesellschaften und Leasingunternehmen von den Umrüstungen.

Komplexer Flugzeugumbau

Ein Flugzeugumbau ist technisch gesehen jedoch sehr komplex. Dafür sind hochqualifizierte Techniker und eine Vielzahl von Teilen erforderlich, deren Verarbeitung zeitlich aufeinander abgestimmt sein muss, um einen reibungslosen Ablauf und eine rechtzeitige Fertigstellung zu ermöglichen. Noch vor wenigen Jahren hat man viele Arbeitsschritte manuell durchgeführt, heute werden jedoch auch in der Flugzeugindustrie immer mehr sogenannte MRO-(Maintenance/Repair/Operation)-Prozesse automatisiert. Die Verstärkung der Bodenstruktur von Passagierflugzeugen, um schwerere Nutzlasten aufzunehmen, ist solch ein arbeitsintensiver Prozess. Dabei müssen Tausende von Löchern gebohrt werden. Hier setzt die Luft- und Raumfahrtabteilung des in Singapur ansässigen Unternehmens ST Engineering Aerospace Ltd. – einem Spezialisten für den Flugzeug­umbau – auf die Unterstützung einer Roboterzelle. Das Unternehmen arbeitet dafür seit 2019 mit dem ebenfalls in Singapur angesiedelten Unternehmen Helios Applied Systems zusammen, um solche aufwändigen Pro­zesse zu automatisieren.

Automatischer Werkzeugwechsel: Kollege Roboter hilft

Im Werk von ST Engineering bei Paya ­Lebah bohrt die Roboterzelle Dutzende Löcher in die Bodengitter des Flugzeugtyps 767-300ER von Boeing, um diesen gemäß des STC (Supplemental Type Certi­ficate) von Boeing in eine Frachtmaschine umzurüsten. Dieses Zertifikat ist eine ergänzende Musterzulassung eines Flugzeugs und wurde durch eine Luftfahrtbehörde genehmigt.

Bei der Umrüstung bewegt sich die Roboterzelle entlang der Bodenstruktur, so dass der Roboter die entsprechenden Löcher nach einem vordefinierten Plan bohren kann. Die Zelle steht in einer ­Halle, die praktischerweise direkt an die umzurüstenden Flugzeuge angrenzt. Die Roboterzelle besteht aus einer hy­draulisch anhebbaren, beweglichen Plattform, einem Yaskawa-Roboter mit 180 Kilogramm Nutzlast, einem End-of-arm-Tool mit einem speziellem, von Helios entwickelten Bildverarbeitungssystem und einer Motorspindel mit sechs Kilowatt Leistung sowie einer Hohlschaftkegelaufnahme für den automatischem Werkzeugwechsel.

Automatischer Werkzeugwechsel
Die Motorspindeln der Zimmer Group ermöglichen eine hohe Produktivität und Präzision. Dies führt zu einer hohen Werkstückqualität. Bild: Zimmer Group

Auf die Spindel kommt es an

Neben Parametern wie Rundlaufgenauigkeit und hohen Drehzahlen, war für die Wahl der richtigen Spindel eine wichtige Voraussetzung, dass sich diese mittels Roboter-Wechseleinheiten einfach an den bestehenden Roboter adaptieren lässt. Fündig wurde Helios beim Automatisierungsspezialisten Zimmer Group aus Rheinau in Deutschland. Dieser besitzt weltweit 13 Niederlassungen – drei davon in Asien. Die Zimmer Group lieferte Helios ihre luftgekühlte Spindel der Serie HF145-001 mit einer Leistung von sechs Kilowatt und einer maximalen Drehzahl von 24.000 U/min, komplett mit EtherCAT-Bedienterminal, allen notwendigen Kabeln und mit dem abgestimmten Frequenzumrichter. Dieser eignet sich besonders für exakte Positionieraufgaben mit integrierter Sicherheitstechnik (STO) und für Vorgänge bei geringer oder hoher Drehzahl. Darüber hinaus bietet der Umrichter eine optimale Performance beziehungsweise Leistungsausbeute bei perfekter Abstimmung von Spindel und Frequenzumrichter.

Flexibel durch Roboter-Wechseleinheit

Um bei künftigen Anwendungen flexibler zu sein, wurde die Spindel an eine Roboter-Wechseleinheit (WWS100F-001/WWWS100L-001) – ebenfalls von der ­Zimmer Group – montiert. Diese Roboter-Wechseleinheit ermöglicht es, die ­Motorspindel gegen ein anderes Werkzeug oder Handling-Aggregat auszuwechseln, um dadurch die Mehrfachnutzung eines Roboters zu ermöglichen. Zusätzlich hat der Automatisierungs­spezialist eine Aufbewahrungsstation für die Werkzeugaufnahme geliefert. Die HSK-Aufnahmen und Werkzeuge selbst wurden vor Ort von Helios zur Verfügung gestellt. Helios nutzt die Zimmer-Spindel mit einer Feldbusanbindung (EtherCAT). ­

Die komplette Parametrierung hat das Unter­nehmen ebenfalls von dem Rhein­auer Automatisierungsexperten erhalten. Wichtige Punkte waren auch der umfangreiche Produkt-Support und die Unterstützung bei Software-Fragen während der Installation und beim Betrieb der Anlage.

Automatischer Werkzeugwechsel: Gelungene Zusammenarbeit

„Durch die steife Konstruktion und dem sehr ruhigen Lauf der Spindel – auch bei höheren Drehzahlen – ist das Bohrergebnis sehr gut. Man muss bedenken, dass diese Teile nicht ganz flach sind, so dass das Vision-System die Position und den Winkel jeder Bohrung erkennen muss“, erläutert Sunil Raibagi, Projektverantwortlicher und Vice President Business Development and Strategy der Zimmer Group. Auch der Kunde Helios zeigt sich zufrieden: „Wir schätzen die Zimmer Group als langjährigen Partner und sind von den Qualitäten der Spindel absolut überzeugt. Besonders begeistert waren wir auch vom Service der Zimmer Group, die uns während der ganzen Installation immer helfend zur Seite standen,“ so Managing Director Shyi-Herng Kan.

In der Zukunft vielbeschäftigt

Während sich der Roboter derzeit auf das Bohren von Bodengittern konzentriert, arbeitet das Team von ST Engineering mit Helios daran, die Maschine so zu programmieren, dass sie sich auch zum Setzen von Senknieten einsetzen lässt. „Wir glauben, dass die Roboter diese Prozesse gut bewältigen können“, betont Hui Fung Lee, SVP und Leiter der Abteilung Innovation und kontinuierliche Verbesserung bei ST Engineering Aerospace in einem Interview der Zeitschrift „cargo facts“.

In den kommenden Monaten wird der Roboter bei ST Engineering auch für andere Funktionen und für die Arbeit an anderen Flugzeugmodellen programmiert, einschließlich der Umrüstung von Airbus-Frachtern. „Wir wissen, dass das P2F-Verfahren sehr komplex ist und viele Menschen für den gesamten Umstellungsprozess benötigt werden“, erklärt Lee und führt fort: „Daher suchen wir ständig nach Möglichkeiten, unsere Produktivität zu verbessern.“ Aufgaben, die sich für eine Automatisierung eignen, wie ein automatischer Werkzeugwechsel, seien in der Regel standardisiert und sehr repetitiv, so Lee. Ab nächstem Jahr plant ST Engineering das Bohren von ­Bodengittern für die A321-200P2F-­Umrüstungsprogramme zu automatisieren, die es über EFW – ein Joint Venture mit Airbus – besitzt.

Der Autor Gregor Neumann arbeitet im Bereich Medien & Kommunikation bei der Zimmer Group.

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