01.12.2021 – Kategorie: Digitalisierung
Auswirkungsanalyse von Prozessen: Darum ist sie bei Änderungen in Produktionssystemen so wichtig
Technische Änderungsanfragen in Produktionssystemen sind unvermeidbar. In der Serienfertigung müssen diese Änderungen bei gleichzeitiger Absicherung der Prozesse umgesetzt werden. Ein praxisnaher Ansatz der FIR an der RWTH Aachen soll dies in produzierenden Unternehmen ermöglichen.
Auswirkungsanalyse: Aktuelle Marktentwicklungen zeigen verkürzte Produktions-, Produktlebens- und Innovationszyklen auf, welche durch verstärkten Kundenfokus, wachsenden Konkurrenzdruck und steigende Digitalisierung getrieben werden.
Warum eine Auswirkungsanalyse notwendig wird
Vor allem die Geschwindigkeit des technischen Fortschrittes und zusammenhängende Innovationen erzeugen eine vermehrte Anzahl an möglichen Änderungen und resultierenden Produktionsstörungen. Unverändertes Ziel produzierender Unternehmen ist die Gewinnmaximierung. Dafür ist die Auftragsabwicklung daran ausgerichtet, die Kundenbedürfnisse durch das gewünschte Produkt in der gewünschten Menge und Qualität zum gewünschten Zeitpunkt am gewünschten Ort zu erfüllen.
Die Effizienz der zugehörigen Prozesse ist dementsprechend maßgeblich für die Wirtschaftlichkeit jedes Unternehmens. Zum erfolgreichen Bestehen im Spannungsfeld zwischen stabiler Produktion und konstantem Wandel müssen Anforderungen mit Neuerungsgrad agil und flexibel gehandhabt werden. Jedoch fehlt es an einem Standard zur systematischen und zukunftsfähigen Umsetzung in der Praxis.
Änderungsprozesse sind häufig unzureichend umgesetzt
Um der Vielzahl an eingehenden Änderungsanträgen nachzukommen, ist ein effizientes Änderungsmanagement mit einer geeigneten Auswahl an umsetzbaren Änderungen notwendig. Im Änderungsprozess wird der Antrag entweder angenommen, zurückgestellt oder abgelehnt. Dem geht in der gängigen Praxis eine Erfassung des Antrages in Papierform oder digital nach unternehmensspezifischen Anforderungen voraus. Darauf basierend müssen für die weitere Handhabung eines Änderungsantrages die entscheidungsrelevanten Informationen vorliegen. Diese umfassen auf Prozessseite insbesondere die beeinflussten Prozessketten.
Der Sinn einer beantragten Änderung ist ein in Aussicht gestellter Mehrwert unter einem unbekannten Maß an Aufwendungen, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Die Auswirkungen werden oftmals durch eine subjektive Auswirkungsanalyse identifiziert und als Basis für die Entscheidung über den betrachteten Antrag bewertet. Jedoch berücksichtigen bestehende Ansätze nur eine begrenzte Informationsbasis und stützen sich auf subjektives Erfahrungswissen.
Für eine zukunftsfähige Bewertung von Änderungsanträgen ist die Einbindung planungsrelevanter Daten aus produktionsnahen IT-Systemen dringend erforderlich. Die Auftragsabwicklung wird weitreichend durch IT-Systeme unterstützt. Auf Unternehmensleitebene wird von der Mehrheit an produzierenden Unternehmen ein ERP-System als informationstechnisches Rückgrat eingesetzt. Dieses verarbeitet Stamm- und Bewegungsdaten aus verschiedenen Unternehmensbereichen. Ausgehend vom ERP-System wird über Schnittstellen eine Verbindung zu weiteren Systemen hergestellt und die Verwendung von ergänzenden Betriebsdaten ermöglicht. Bei Nutzung dieser Daten in der Analyse kann der Einfluss einer Änderung auf die Prozesse in der Systemebene ermittelt werden. Die notwendigen entscheidungsrelevanten Daten sind demnach das Rückgrat jeder unternehmerischen Entscheidung. Für die Analyse von Änderungen bieten sie das Potenzial, welches heute noch nicht systematisch erschlossen ist.
Bild: FIR e.V. an der RWTH Aachen
Prozessseitige Auswirkungsanalyse
Die Prozesse in produzierenden Unternehmen zur Auftragsabwicklung finden sich in Referenzmodellen wie dem Aachener PPS-Modell wieder. Diese beinhalten jegliche Tätigkeiten von Eingang der Kundenanfrage bis zum Versand an den Kunden. Das ERP-System bildet die Referenzstrukturen innerhalb von IT-Funktionalitäten ab. Die getrennt arbeitenden Funktionalitäten des ERP übergeben systemseitig Informationen aneinander. Durch eine Verknüpfung der zwei Referenzsichten ergibt sich ein Netzwerk aus Informationsflüssen, welches anhand von Prozessketten beschrieben werden kann.
Erfahrungsgemäß fällt die Lokalisierung einer Änderung auf Prozessebene in der praktischen Anwendung leichter. Für die Transformation in die Systemwelt kann die Verknüpfung der Prozess- und IT-Referenzsichten genutzt werden. Die Auswirkungen der Änderungen in einem Prozess können somit einfach durch Input-/Output-Beziehungen nachvollzogen werden. Die Auswirkungen lassen sich klassisch gemäß des Ursache-Wirkungs-Prinzip entlang des gesamten Netzwerks verfolgen. Diese Ursache-Wirkungs-Beziehungen lassen sich über ein Analysemodell genauer betrachten und auswerten. Dem Anwender wird somit eine transparente und einfach zu verstehende Darstellung der Änderungsauswirkung gegeben.
Fundierte Grundlage zur Bewertung auf Managementebene
Die Ursache-Wirkung-Beziehungen der Änderungen ermöglichen den Übertrag zu Kennzahlen. Die Bewertung von Änderungen basiert auf der Abschätzung von Zielgrößen, welche messbar sein müssen. Die genaue Zuordnung resultiert aus den eingehenden und ausgehenden Informationen der Prozesse, deren Datenströme als Bestandteil von Kennzahlen aufgefasst werden können. Dadurch sind datengetriebene Ist-Soll-Vergleiche möglich. Die Veränderung einer Kennzahl ist hinsichtlich der damit verbundenen Entwicklung einschätzbar. Als praktisches Beispiel soll die Erhöhung der Kennzahl Durchlaufzeit dienen. In einem Großteil produzierender Unternehmen ist eine Erhöhung der Durchlaufzeit negativ einzuschätzen und kann weitere negative Auswirkungen auf unternehmerische Zielgrößen wie Kosten oder Liefertermintreue haben.
Zur Reduzierung der Komplexität und Informationsflut erfolgt eine Verdichtung und Selektion der Kennzahlen. Die Verdichtung entspricht hierbei einer Zusammenfassung von Kennzahlen bis zu einem komprimierten Aussagegehalt. Die Selektion umfasst eine begrenzende Auswahl an relevanten Kennzahlen. Eine Gewichtung der finalen, betroffenen Kennzahlen wird an unternehmensspezifischen Kriterien ausgerichtet. Kennzahlen bilden damit die seitens der Entscheider benötigten Informationen und ermöglichen eine Bewertung auf Managementebene.
Automatisierung der Prozesse
Das Ausmaß an Änderungen wird in den nächsten Jahren auf einem hohen Niveau bleiben oder sogar noch weiter ansteigen. Mit dem vorgestellten Ansatz wird die kontinuierliche Optimierung der Produktion bei Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit sowie Erfüllung der Anforderungen der Digitalisierung in Unternehmen möglich. Ein standardisierter, datengetriebener Änderungsprozess bildet das Fundament in Richtung Automatisierung des Prozessablaufes. Eine Vision dazu ist, dass ein Änderungsbedarf bereits digital erkannt und in einem Änderungsantrag objektiv charakterisiert wird. Davon ausgehend werden die Auswirkungen gemäß dem erläuterten Konzept bewertet, geordnet und für das Management nutzbar aufbereitet.
Die Nutzung einer neutralen Referenz auf Prozess- und IT-Ebene befähigt die Unternehmen, ihre Daten weiterführend zu nutzen. Die aktuellen Trends der Industrie machen eine Weiterentwicklung in diesem Bereich unumgänglich. Das notwendige Handwerkszeug und die notwendige Datenbasis ist bei den meisten Unternehmen bereits vorhanden und muss nur sinnvoll miteinander verbunden werden. Nur durch eine Auswirkungsanalyse lassen sich Potenziale von Änderungen erkennen, umsetzen und das Unternehmen weiterhin zu einem wirtschaftlichen Erfolg führen.
Der Autor Andreas Külschbach M.Sc. ist Gruppenleiter Produktionsplanung im Produktionsmanagement; Autorin Keira Romaus M.SC. ist Projektmanagerin Produktionsplanung im Produktionsmanagement, beide FIR e.V. an der RWTH Aachen.
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