Am Touchscreen Objekte ertasten
Auf dem Touchscreen der Zukunft können Nutzer Objekte nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Verschiedene Unternehmen haben bereits entsprechende Prototypen entwickelt. Ein internationales Team um den Jülicher Physiker Bo Persson hat nun eine deutlich vereinfachte Methode vorgestellt, um die Interaktion mit solchen haptischen Touchscreens theoretisch zu beschreiben.
Auf dem Touchscreen der Zukunft können Nutzer Objekte nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Verschiedene Unternehmen haben bereits entsprechende Prototypen entwickelt. Ein internationales Team um den Jülicher Physiker Bo Persson hat nun eine deutlich vereinfachte Methode vorgestellt, um die Interaktion mit solchen haptischen Touchscreens theoretisch zu beschreiben.
Bislang war die Berechnung der Kräfte zwischen Finger und Display selbst mit den leistungsfähigsten Supercomputern nicht möglich. Mithilfe ihres Modells leiteten die Forscher bereits einen Vorschlag für Display-Konstruktionen ab, die einen verbesserten Tast-Eindruck vermitteln. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift PNAS nachzulesen.
Bei neuartigen haptischen Displays könnte der Nutzer die Position von Eingabefeldern oder Apps finden, ohne hinzusehen. Das wäre nicht nur für Sehbehinderte nützlich, sondern auch ein Vorteil in Situationen, in der die Augen auf die Umgebung ausgerichtet sind, etwa auf den Straßenverkehr. Für den Online-Handel eröffnen solche Displays ebenfalls neue Möglichkeiten: Mit ihnen könnte übermittelt werden, wie sich die Oberfläche einer Ware anfühlt. Der Jülicher Wissenschaftler Bo Persson vom Peter Grünberg Institut (PGI-1) hat zusammen mit drei türkischen Forschern und einem italienischen Forscher die Gleitreibung des Fingers auf einem solch haptischen Display theoretisch und experimentell untersucht. Die Gleitreibung ist etwa entscheidend dafür, ob der Nutzer die glatte Display-Oberfläche im Bereich eines abgebildeten Objektes als rau empfindet.
Der Tast-Eindruck bei einem haptischen Display beruht auf dem Phänomen der Elektroadhäsion: Legt man eine wechselnde elektrische Spannung an die leitende Schicht eines kapazitiven Displays an, so sammeln sich an der isolierenden Display-Oberfläche und am Finger elektrische Ladungen mit entgegengesetztem Vorzeichen. Somit zieht das glatte Display den rauen Finger elektrostatisch an. „Dieser wird dadurch enger ans Display gepresst, seine Kontaktfläche vergrößert sich und damit auch die Haftung und Reibung“, erläutert Bo Persson. Die Nervenzellen des Tastsinns erfassen diese Veränderung und melden sie an das Gehirn zurück.
Um die Abhängigkeit der Gleitreibung unter anderem vom Fingerdruck und von der elektrischen Spannung zu ermitteln, verwendeten die Forscher um Persson zwei unterschiedliche mathematische Modelle. Eines davon beruht auf einer Kontaktmechanik-Theorie, die Persson erstmals schon vor fast zwanzig Jahren vorgestellt hat. „Beim Kontakt zwischen zwei Objekten – hier: dem Finger und dem Display – muss man die Rauigkeit der jeweiligen Flächen auf verschiedenen Längenskalen berücksichtigen, vom tausendstel Mikrometer bis zum Millimeter“, erläutert Bo Persson einen entscheidenden Punkt seiner Theorie. Mit ihr war der Physiker bereits sehr erfolgreich darin, den Einfluss des Profils auf das Fahrverhalten von Reifen zu berechnen und vorherzusagen. Das zweite Modell nutzt die sogenannte Randelement-Methode und ist bedeutend rechenaufwendiger. „Selbst Supercomputer können dabei an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangen“, sagt Persson.
Das Ergebnis der Berechnungen: Die Werte der beiden Modelle für die Gleitreibung zwischen Display und Finger stimmen gut überein. Außerdem bestand Perssons Modell auch die wahre Prüfung. Denn die Forscher maßen die Gleitreibung auf einem haptischen Display mit Hilfe eines selbst entworfenen Versuchsaufbaus. Anschließend verglichen sie berechnete und gemessene Werte. Auch hier zeigten sich nur geringe Abweichungen.
Somit ist klar, dass sich mit Perssons Theorie die Reibungskräfte beim Finger-Display-Kontakt verstehen und vergleichsweise wenig aufwendig berechnen lassen. Doch damit nicht genug: Die Forscher nutzen das somit vertrauenswürdige Modell auch, um praktisch bedeutsame Vorhersagen zu treffen. Demnach gilt folgendes Rezept, um die tangentiale Reibungskraft zu vergrößern, die für das Tastgefühl entscheidend ist: Die elektrisch isolierende Schicht auf dem haptischen Display muss dünner als auf bisherigen Displays sein.
Originalpublikation: Contact mechanics between the human finger and a touchscreen under electroadhesion, Mehmet Ayyildiz, Michele Scaraggi, Omer Sirind, Cagatay Basdogan, and Bo N.J. Persson, PNAS, November 2018
DOI: 10.1073/pnas.1811750115
Bild: Beim Kontakt zwischen dem Finger und dem Display muss man die Rauigkeit der jeweiligen Flächen auf verschiedenen Längenskalen berücksichtigen, vom tausendstel Mikrometer bis zum Millimeter. Mit Bo Perssons Theorie lassen sich die Reibungskräfte beim Finger-Display-Kontakt verstehen und vergleichsweise wenig aufwendig berechnen. Copyright: Ayyildiz et al., PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1811750115 / Regine Panknin
Teilen Sie die Meldung „Am Touchscreen Objekte ertasten“ mit Ihren Kontakten: