14.12.2022 – Kategorie: Produktionsprozesse

3D-Druck in der Automobilindustrie: Was kann er in dem stark umkämpften Umfeld leisten?

3D-Druck in der Automobilindustrie: Was kann er in dem stark umkämpften Umfeld leisten?

Formel 1: Synonym für automobile Renn-Performance und Spitzentechnologie. Was kann 3D-Druck in diesem stark umkämpften Umfeld leisten?

Es war das letzte Rennen der Formel-1-Saison 2021 in Abu Dhabi. Trotz bestehender Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie kamen 153.000 Fans. Weitere rund 109 Millionen Menschen verfolgten das Geschehen vor dem Fernseher. Formel 1 berauscht durch individuelles Können und Mut, Teamwork und Hingabe sowie moderne Technologie.

McLaren Racing ist dabei, seit der Neuseeländer Bruce McLaren 1966 mit dem M2B am Großen Preis von Monaco teilnahm. 183 Grand-Prix-Siege, 493 Podiumsplätze, 12 Fahrer- und 8 Konstrukteursmeisterschaften später ist McLaren Racing eines der erfolgreichsten Formel-1-Teams aller Zeiten. Getragen vom unermüdlichen Streben nach technischer Weiterentwicklung und kollektiver Leidenschaft, Spitzentechnologie in Rennsiege umzuwandeln.

3D-Druck in der Automobilindustrie: Regulierung treibt Innovationen an

Die „Formel“ der Formel 1 besteht aus komplexen Regeln und Vorschriften, die von den konkurrierenden Teams und den Fahrern erwarten, eingehalten zu werden. Die Regeln definieren ein technologisches Zeitfenster und das maximal zulässiges Budget. Innerhalb dieser Grenzen muss jedes Team sein Auto konstruieren, mit dem es den Sieg anstrebt. Durch diese Regeln entsteht ein hart umkämpftes Umfeld, in dem ein Milligramm hier oder zwei Mikrometer dort sowie die Qualität und Geschwindigkeit der Fahrzeug- und Fahrer-Entwicklung die Podiumsplatzierten vom Rest des Teilnehmerfelds trennen.

Um sich zu behaupten, sucht McLaren Racing unter anderem mittels aktueller Stereolithographie-3D-Drucktechnologie nach dem perfekten Design für die bestmögliche Startaufstellung.

Faktor Luft: Die Aerodynamik

Die Wirkung der Luft, die über, unter, durch und hinter das Auto strömt, ist in der Formel 1 ein essentieller Faktor für die mögliche Gesamtrennleistung. Zwar spielen virtuelle Techniken wie das Computer Aided Design (CAD) und Computational Fluid Dynamics (CFD) bei der Konstruktion und Entwicklung eines Formel-1-Autos zentrale Rollen, doch ist der Windkanal nach wie vor unerlässlich, wenn es darum geht, die Beschaffenheit von Oberflächen einzelner Baugruppen und der Gesamtkarosserie auf das Fahrverhalten des Formel-1-Boliden zu beurteilen.

McLaren testet in den Windkanälen Modelle im Maßstab 0,6. Und nutzt diese verkleinerten Modelle, um das Aerodynamikpaket zu optimieren und beispielsweise mehr Abtrieb für mehr Grip bei hoher Geschwindigkeit zu erzeugen. Ziel ist zudem, die aerodynamischen Belastungen auf Front und Heck auszugleichen.

Auf den 3D-Druckern verarbeitet das Racing-Team Harz (Somos Perform Reflect des Herstellers Covestro). Daraus entstehen zahlreiche Varianten und Kombinationen aus Front- und Heckflügeln und weiterer größerer Teile der seitlichen Karosserie, die die Aerodynamik beeinflussen. Zusammen bilden Sie das Aerodynamik-Kit des Fahrzeugs. Das Harz ist speziell für die Anwendung im Windkanal entwickelt, so dass sich stabile, steife Teile daraus fertigen lassen, die in Kombination mit den von Stratasys entwickelten Stereolithografie-3D-Druckern (Neo800) eine Oberflächengüte erreichen, die Nachbearbeitungen im Vergleich zu bis dato genutzten Verfahren um mehr als 30 Prozent reduzieren. Mit einem gefrästen Aluminiumträger versehen bilden die Teile das windkanalfähige Modell.

„Die Zeiten für das Finish wurden drastisch reduziert.“

Im Windkanal werden gewöhnlich mehrere Varianten und Iterationen aus Front- und Heckflügeln, Seitenkästen sowie der Oberschale der Karosserie getestet. Dabei haben die neuen 3D-Drucker entscheidend die Vorlaufzeiten der Windkanal-Tests verringert, indem Komponenten schneller verfügbar sind. Dabei lassen sich durch den großen Bauraum (800 mal 800 mal 600 Millimeter) der Neo800-3D-Drucker große Teile schnell und mit einem sehr hohen Grad an Detailgenauigkeit und Wiederholbarkeit fertigen. Tim Chapman, Leiter der Additiven Fertigung bei McLaren Racing, erklärt: „Die produzierten Komponenten erfordern nur minimale manuelle Nachbearbeitung, was einen viel schnelleren Durchsatz im Windkanal ermöglicht. Die Zeiten für das Finish wurden drastisch reduziert.“

3D-Druck in der Automobilindustrie: Dank der neuen 3D-Drucker kann McLaren alle Windkanalmodelle für aerodynamische Test selbst am eigenen Standort fertigen.
Dank der neuen 3D-Drucker kann McLaren alle Windkanalmodelle für aerodynamische Test selbst am eigenen Standort fertigen. Bild: McLaren Racing

3D-Druck in der Automobilindustrie – Verkürzte Zykluszeiten

Der gesamte Prozess bis zur fertigen Karosserieschale im Maßstab 0,6 ist nun viel schneller. Mit den neuen Stereolithographie-3D-Druckern kann das McLaren-Team eine Karosserieschale nach Erhalt der CAD-Daten in nur drei bis vier Tagen fertigen. „Früher haben wir zunächst den Werkzeugblock aufgeklebt und diesen dann grob bearbeitet, bis die ungefähre Form der Karosserieoberschale vorlag. Mit Hilfe von Schablonen, handgefertigt nach einer technischen Zeichnung, haben wir dann die Konturen von Hand nachgearbeitet und so ein Modell erhalten, von dem wir eine Kohlefaserform abnehmen konnten.“, erklärt Chapman.

Nachdem die Kohlefaserform autoklaviert und vom Modell entfernt war, wurde das Kohlefaserteil in die Form gelegt und erneut autoklaviert. Erst nachdem diese Komponente aus der Form entnommen wurde, lag die Karosserieschale für das Formel-1-Auto im gewünschten Maßstab vor. „Im Gegensatz dazu ermöglicht uns der 3D-Druck in der Automobilindustrie, sowohl auf die Abformung als auch auf die Herstellung der Kohlefaserform zu verzichten und stattdessen die Module direkt im 3D-Druck zu fertigen.“

Drücke messen

Um den Oberflächendruck auf die unterschiedlichen Karosserieflächen zu messen, sind rund 50 bis 60 Löcher, sogenannte Druckmessstellen, in die Gesamtkarosserie integriert. Die so gewonnenen Messdaten unterstützen die Renningenieure bei der Entwicklung der Fahrzeugteile. Für die Einbringung der vielen kleinen Oberflächendruckmessstellen in die Bauteile ist ein präziser, hochauflösender Druckvorgang erforderlich.

Kosten senken dank 3D-Druck in der Automobilindustrie

In der Covid-Pandemie erzielte die Formel 1 zu geringe Einnahmen, daher hat die FIA die Budgetobergrenze für die Teams sukzessive gesenkt: 2021 von 175 Millionen US-Dollar auf 145 Millionen, 2022 auf 140 Millionen und auf 135 Millionen US-Dollar für das Jahr 2023. Die Teams konzentrieren sich daher besonders auf die Effizienz der Entwicklungs- und Produktionsabläufe. Die Strategie von McLaren dazu ist, wo immer möglich, im eigenen Haus zu produzieren. Mittels 3D-Druck in der Automobilindustrie kann das Renn-Team heute alle Windkanalmodelle für die aerodynamischen Tests im Werk Woking in Großbritannien selbst fertigen. Das spart Kosten für Zulieferteile und vereinfacht die Qualitätssicherung. Das Team stelllt im 3D-Druck zudem Montagevorrichtung und Schablonen sowie Formen her – früher wurden diese aus Metall gefräst.

3D-Druck in der Automobilindustrie
Ein Blick in die 3D-Druck-Fertigung des Rennteams in Woking bei London, UK. Bild: McLaren Racing

Über das Prototyping hinaus

Schnelle Verfügbarkeit und geringere Kosten für Prototypen erleichtern schnellere Entwicklungsschleifen, so dass das Team auf Designprobleme zu jedem Zeitpunkt der Saison reagieren kann. Mit der Weiterentwicklung der Stereolithografie-3D-Drucktechnologie und neuen Materialien hat sich jedoch auch die Art und Weise weiterentwickelt, wie McLaren neben Windkanalmodellen und Prototypen auch direkt einsatzfähige Komponenten sowie Produktionswerkzeuge herstellt. Zum Beispiel druckt das Team auch Werkzeuge, die es ermöglichen, den Verbundwerkstoff über die Form zu legen. Durch ein einzigartiges Extraktionsverfahren wird das Harz nach dem Autoklavieren entfernt, so dass ein ausgehärtetes Kompositteil direkt einsatzbereit zurückbleibt. Dies ermöglicht es den Designern, hohle oder gewundene Verbundwerkstoffteile einfach zu realisieren, ohne dass kostspielige und zeitaufwändige komplexe Formen und Kernherstellungen erforderlich sind.

„In der Regel stellen wir von den meisten Komponenten etwa vier Sätze für die Autos her, bevor die nächste Version die vorherige ersetzt. Aus diesem Grund eignet sich der 3D-Druck in der Automobilindustrie so gut für viele Komponenten: Wir können Teile extrem schnell herstellen und benötigen keine Werkzeuge und Formen. Dies ist in der Formel 1 von entscheidender Bedeutung, da die Fristen für die Fertigstellung der Autos für das nächste Rennen äußerst knapp sind und die kleinste Designänderung den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen oder zu einem Positionsgewinn in der Startaufstellung führen kann”, so Chapman abschließend.

Der Autor Andreas Langfeld ist President EMEA bei Stratasys.

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